Kordon, Klaus
Medium der interaktiven Leseförderung Antolin Und alles neu macht der Mai: Roman
Buch

Die Erzählperspektive ist klug gewählt: Die 16-jährige Rena, bislang eingebettet in die Sorglosigkeit und Sicherheit ihrer bürgerlichen Familie, muss im Januar 1945 mit ihrer Mutter, den beiden jüngeren Brüdern und der zweijährigen Schwester Hals über Kopf ihr schönes Haus und ihre Freunde in Eichenbrück im Wartheland verlassen, um vor den heranrückenden Soldaten der Roten Armee zu fliehen. Sie erwischen den letzten überfüllten Zug Richtung Berlin, sind tagelang unterwegs. Von der schon stark zerstörten Hauptstadt werden sie schließlich von Amts wegen in ein kleines Dorf in der Nähe von Hamburg geschickt. Als unwillkommene Flüchtlinge melden sie sich auf dem Hof einer alleinstehenden, vergrämten Bäuerin, wo sie als billige Arbeitskräfte das Nötigste zum Leben finden. Um für ihre geliebte kleine Schwester für später mal alles aufzuschreiben, hat Rena begonnen, eine Art Tagebuch zu führen. Das Schreiben wird ihr immer wichtiger. Es verschafft ihr Klarheit im Nachdenken über ihre Familie, über die Wirren der Zeit und ihr eigenes Handeln. Eingewoben in Fühlen und Denken der nationalsozialistischen Ideologie ihrer Familie hat Rena bislang fraglos akzeptiert, was die Eltern, die sie liebt und bewundert, vorgelebt haben. Wie Nadelstiche mehren sich nun aber die Zweifel, und die dunklen Schatten, die ihr bisheriges Leben in Frage stellen, werden immer größer. Dann lernt sie Klaas Beckers kennen und verliebt sich in ihn. Klaas Vater, der Pastor des kleinen Dorfes, ein entschiedener Gegner der Nazis, wurde vom Ortsbauernführer denunziert, in ein Konzentrationslager gebracht und ermordet. Durch Klaas erfährt Reni immer mehr von der für sie fremden Denk- und Empfindungswelt. Als schließlich ihr Vater, Bauingenieur und SA-Mitglied mit niedriger Mitgliedsnummer, aus russischer Kriegsgefangenschaft entflohen, glücklich zu seiner Familie zurückkehrt, entscheidet sich Rena dafür, auch gegen den väterlichen Einfluss, ihren eigenen, ganz anderen Weg zu gehen. Der handlungsreiche, äußerst spannende Roman führt die Leser immer wieder zu den eigentlich wichtigen Fragen, die sich für die Menschen am Kriegsende und am Anfang des unsicheren Friedens in Trümmern damals gestellt haben und die bis heute Grundfragen des Lebens in der Demokratie geblieben sind. Es gelingt dem Autor mit bewundernswertem Gespür, uns als Lesende mit den Personen seiner Romanhandlung mitfühlen, mithoffen, mitverzweifeln zu lassen. Im Auf und Ab existentieller Bedrohung werden sowohl die nationalsozialistische Verführkraft, ihre brutale Anmaßung, wie auch Denunziantentum und Gründe für das Mitlaufen erfahrbar. All das wird im Alltagsleben verortet und so auch für heutige Leser nachvollziehbar. Man erfährt, wieviel Schmerzen eine Loslösung von den alten Prägungen und die ehrliche und aufrichtige Suche nach der Wahrheit bereiten kann. Man erfährt aber auch, wie befreiend es ist, zu dem zu stehen, was man nach gründlichem Nachdenken für gut und richtig erkannt hat, und wie beglückend es ist, einen Menschen zu finden, mit dem man über all das offen und ehrlich reden kann. Klaus Kordons Roman ist im Kern eine Mentalitätsgeschichte. Die äußeren Ereignisse des Kriegsendes und der beginnenden Nachkriegszeit sind gut recherchiert und bilden den Rahmen einer lebendigen Handlung, die glaubhaft die innere Entwicklung beim Übergang von der Diktatur zur Demokratie erzählt. Was damals oft genug gegen den inneren Widerstand im Bewusstsein der Deutschen heranwuchs und erst allmählich als zarte Pflanze zutage trat ein selbstbestimmtes, freies Leben das ist uns heute viel zu oft selbstverständlich, manchmal gar gleichgültig geworden. Klaus Kordons Geschichte, die man mit allen Sinnen miterleben kann, macht es möglich, den Wert unserer noch freien, offenen Gesellschaft neu zu entdecken. Ich hoffe und wünsche, dass dieses Buch viele, nicht nur junge, Leserinnen und Leser finden wird.


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Personen: Kordon, Klaus

Schlagwörter: Antolin Klasse-9

Interessenkreis: History

Kordon, Klaus:
Und alles neu macht der Mai: Roman
Weinheim: Beltz & Gelberg. 2021

Zugangsnummer: E-2023/0025 - Barcode: M632236214
HISTORY - Signatur: HISTORY NS-Zeit KORD - Buch