Reuter, Christoph
Die schwarze Macht der "Islamische Staat" und die Strategen des Terrors
Buch

Nach seinem brutalen Eroberungszug im Jahr 2014 herrscht der ÐIslamische Staat× heute über mehr als fünf Millionen Menschen und eine Fläche von der Größe Großbritanniens. SPIEGEL-Korrespondent Christoph Reuter zeichnet den präzise geplanten Aufstieg der Dschihadisten nach und stößt zu den Wurzeln des Terrors vor - im zerfallenden Irak, im syrischen Bürgerkrieg und in den vielfältigen Konflikten der Region, die die Strategen des Terrors geschickt für ihre Zwecke zu nutzen wissen. IS, der ÐIslamische Staat×, ist weit mehr als die gefährlichste Terrorgruppe der Welt. Er ist eine Macht, die ein zuvor ungekanntes Maß an Perfektion zeigt - in seinem Handeln, seiner strategischen Planung, seinem vollkommen skrupellosen Wechsel von Allianzen und seiner präzise eingesetzten Propaganda. Der Glaube wird von den Dschihadisten zwar demonstrativ zur Schau getragen, ist für die Strategen des IS jedoch nur eines unter vielen Mitteln, ihre Macht zu erweitern. Christoph Reuter zeigt eindrucksvoll, wie der IS so große Gebiete in Syrien und im Irak erobern konnte und wer den Dschihadisten dabei in die Hände spielte. Sein Buch stützt sich auf bislang unbekannte Dokumente, vielfältige Kontakte und jahrelange Recherchen in der Region. Es bietet ungewohnte Einblicke in die Entstehung und Entwicklung des ÐIslamischen Staates× und macht vor allem eines deutlich: Wir sollten uns von der Propaganda des IS nicht täuschen lassen. Denn die Terrororganisation ist in vielem anders, als wir denken.

Rezension: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 29.05.2015, S. 10
Reuter, Christoph:
Die Schwarze Macht. ISBN 978-3-421-04694-9
Wer die Hoffnung gehegt hatte, der "Islamische Staat" IS würde unter den Luftangriffen der amerikanisch geführten
Koalition zerfallen oder zumindest seine Schlagkraft verlieren, ist eines Besseren belehrt worden. Auf militärische
Rückschläge folgte zuletzt wieder eine Offensive der Terrororganisation, der mit der Eroberung der antiken
Ruinenstadt Palmyra ein spektakulärer Schlag gelungen ist.
Die Schreckensbilder aus der Levante, meist verbreitet von der IS-Propagandaabteilung, halten die Welt in Atem.
Da ist es nicht überraschend, dass im vergangenen Jahr eine Vielzahl von Büchern erschienen ist, die den Aufstieg
der Terrororganisation, ihre Ideologie und die Umwälzungen im Vorderen Orient erklären, die ein Erstarken der
Extremisten um den selbsternannten Kalifen Abu Bakr al Bagdadi begünstigt, wenn nicht erst ermöglicht haben.
Dabei ist dem Journalisten Christoph Reuter mit "Die Schwarze Macht" ein Buch gelungen, das, was Tiefenschärfe
und Recherche betrifft, herausragt.
Reuter hat sich in den vergangenen Jahren fast ausschließlich dem Bürgerkrieg in Syrien gewidmet, er war seit dem
Beginn des Aufstands gegen den syrischen Diktator Baschar al Assad immer wieder auf lebensgefährlichen Reisen
in der syrischen und irakischen Krisenregion unterwegs. So stützt sich das Buch auf einen immensen Fundus an
Material - auch aus dem Inneren des IS -, das Reuter und ein Team von Rechercheuren zusammengetragen haben.
Und Reuter ist es gelungen, diesen Fundus anschaulich und scharfsinnig zu einem packenden Sachbuch zu
verdichten.
Der interessanteste Teil des Buches widmet sich dem Aufstieg des IS im verwüsteten Nordsyrien. Dieser stützt sich
auf Dokumente, die auf einen wichtigen Führer der Organisation, einen Mann mit dem Tarnnamen Haji Bakr,
zurückgehen. Der hatte die Infiltration der Dörfer geplant; seine Agenten sollten islamische Missionierungsbüros
einrichten, Anführer identifizieren, die Bewohner bespitzeln, in wichtige Familien einheiraten. Haji Bakr entwarf in
sorgsam angelegten Organigrammen Geheimdienststrukturen, ein "Stasi-Kalifat", in denen jeder jeden überwacht -
genau wie es im Gewaltherrschaftssystem Saddam Husseins der Fall war, in dem Haji Bakr ein wichtiger
Funktionär war. Lange arbeitete der IS im Verborgenen, bis er stark genug war zuzuschlagen.
So dekonstruiert Reuter auch den Mythos, es handle sich beim IS um eine unaufhaltsame, barbarische Horde
fanatischer Glaubenskrieger, die zu allem bereit sind. Im IS verbinden sich der Furor der Fußvolks und das kühle
Kalkül und planvolle Vorgehen der Sicherheitstechnokraten zu einem gefährlichen Amalgam. Der Autor zeigt, wie
die alten Kader der Sicherheitskräfte des Saddam-Hussein-Regimes den IS zu einer hochmobilen, straff
organisierten Truppe formen, die zu bemerkenswerten logistischen Leistungen imstande ist. Er macht deutlich, wie
die IS-Propaganda mit den in Actionkino-Ästhetik verpackten Schreckensbildern Angst schürt, die sie geschickt als
strategische Waffe einsetzt, und wie groß die Anziehungskraft auf jene Extremisten und Allmachtsphantasten ist,
die jetzt im Namen Gottes herrschen können.
Reuter bezeichnet den IS als "mutationsfähigen Organismus", beschreibt eine skrupellose, pragmatische
Organisation, die trotz der zur Schau getragenen (vermeintlichen) Orthodoxie eine Art Ablasshandel einführt, wenn
ihr das Geld ausgeht. Die Allianzen eingeht, solange sie ihr nützen. Das bekommt gerade auch das Assad-Regime
zu spüren, das lange geglaubt hatte, die Dschihadisten für seine Zwecke nutzen zu können - sei es dadurch, die
Rebellen untereinander zu spalten, oder um sich als Bollwerk gegen den radikalen Islamismus darstellen zu können.
Schließlich gibt es, auch das stellt Reuter anschaulich dar, schon lange funktionierende Arbeitsbeziehungen
zwischen den syrischen Diensten und radikalen Islamisten.
Wie überlebensfähig der IS ist, haben seine jüngsten Feldzüge im Irak und in Syrien gezeigt. Reuter kommt zu dem
Befund, dass der gefährlichste Gegner des IS am Ende er selbst werden könnte. Schon jetzt hat er Schwierigkeiten
damit, Volk, Finanzen und Verwaltung zusammenzuhalten. Irgendwann, schreibt Reuter, könnten die Beherrschten
gegen die Tyrannei aufbegehren. Denn der Ruf zum Dschihad "ist grundsätzlich ein grandioses Mittel zum
Machterwerb, aber ein schlechtes Mittel zum Machterhalt". Der IS habe trotz seines Heilsversprechens nichts
anderes zu bieten als das, was die Diktaturen in seinem Herrschaftsbereich ohnehin verkörperten: Unterdrückung
und Ausbeutung.
CHRISTOPH EHRHARDT


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Personen: Reuter, Christoph

Standort: Empore

Schlagwörter: Islamischer Staat

Interessenkreis: Politik & Geschichte / Populärliteratur

Reuter, Christoph:
¬Die¬ schwarze Macht : der "Islamische Staat" und die Strategen des Terrors / Christoph Reuter. - 6. Aufl. - Stuttgart : Dt. Verl.-Anst., 2015. - 352 S., Kt.
ISBN 978-3-421-04694-9 fest geb. : 19,99

Zugangsnummer: 00094520 - Barcode: 00094520
Geschichte Vorderasiens - Signatur: Politik & Geschichte / Asien - Buch