Richter, Jutta
Die Katze oder Wie ich die Ewigkeit verloren habe
Buch: Kinder/Jugend

Ein Interview mit der Autorin über dieses Buch und andere: An irgendetwas muss man doch glauben Jutta Richter über Menschen, Tiere und die Ewigkeit von Christina Gastager-Repolust Es gibt Menschen, denen vertraut man ab dem ersten Händedruck. Bei wenigen reicht schon der Augen-Blick: Sie lösen im weiteren Gespräch alles ein, was ihre Augen versprochen haben. Jutta Richters Augen versprechen viel, die Gespräche mit ihr halten noch mehr. Ihre Themen sind ernst, ihre Bücher überaus erfolgreich. 2005 erhielt sie für ihren Roman "Hechtsommer" den Katholischen Kinder- und Jugendbuchpreis. Die Jury schwärmte von ihrer präzisen, ernsten und dichten Sprache, ihrem Sinn für leise Zwischentöne. Jutta Richter erzählt in "Hechtsommer" vom letzten Sommer einer Kindheit und damit vom Verlust des unschuldigen Wünschens, der kindlichen Magie eines 'wenn – dann“. Drei Kinder spüren den nahenden Tod, drei Kinder spüren die subtilen Veränderungen und drei Kinder erkennen: 'Es war alles wie immer, es war, als wäre nichts geschehen.“ Mit wenigen Worten beschreibt die mehrfach ausgezeichnete Schriftstellerin Staunen, Erschrecken und Fassungslosigkeit über das Bodenlose und Unfassbare von Trauer und Verlust. "Es war so ein Sommer, der nicht aufhört. Und dass es unser letzter werden würde, hätte damals keiner geglaubt. Wir konnten es einfach nicht glauben." So beginnt Anna, die Ich-Erzählerin, ihre Erinnerungen an jenen letzten, alles verändernden Sommer, der so trügerisch normal im Mai angefangen hatte. Doch normal war beinahe gar nichts mehr: Gisela, die Mutter von Annas Freunden Daniel und Lukas, liegt im Krankenzimmer und bekommt manchmal keine Luft mehr. 'Mama, kriegt Gisela eine Glatze?“, erkundigt sich Anna, die nicht viel von Geheimnissen hält. 'Es gibt ein Vorher und es gibt ein Nachher und es gibt ein Jetzt“, steht schlicht nach diesem Dialog und diese Selbstverständlichkeit, große Wahrheiten einfach, klar und liebevoll auszudrücken, ist Jutta Richters Begabung. "Das Jetzt war die Küche und das zischende Bügeleisen und meine rauchende Mutter mit den Tränen in den Augen und der Sonnenstreifen, der durch Fenster auf den Küchentisch fiel. Das Jetzt war der Augenblick, in dem ich mir wünschte, ich hätte nie gefragt." (Hechtsommer, S. 30) Vom Schreiben und vom Leben Sie war 15, als ihr erstes Buch erschien - in einem richtigen Verlag. "Ich war damals als Austauschschülerin in Detroit bei einer Gastfamilie, die ihre Aufgabe erstaunlich ernst nahm. Sie verbot mir, deutsche Bücher zu lesen, ich sollte doch Englisch lernen. So habe ich eben geschrieben, ich hatte so Angst, meine Sprache zu verlieren oder zu verlernen. Als ich nach Deutschland zurückkam, hat der Herder-Verlag meinen Text herausgebracht." Als 15-Jährige hat sie also mit 'Popcorn und Sternenbanner – Tagebuch einer Austauschschülerin“ ein öffentliches Tagebuch geschrieben; Motor des Erzählens waren Wut und Heimweh. 'Das Schreiben hat mich gerettet“, eine Aussage der 1955 geborenen Autorin, die nicht bloß für diesen außergewöhnlichen Erstling gilt. "Nach einem normalen Arbeitstag von acht Stunden habe ich etwa eineinhalb Seiten fertig geschrieben, sie sind das Endergebnis meines Wörter-Abwiegens oder Abwägens. Ich will großen Themen mit einfachen Sätzen begegnen: Jedes Wort fordert eine Entscheidung, muss gegen ein anderes, kräftigeres oder zurückhaltenderes Wort abgewogen werden. Ich nehme meine LeserInnen ernst und will ihnen keine niedlichen, netten Botschaften vorsetzen." Es wachsen Rosen unterm Schnee Daniel und Lukas sehnen sich nach einer Mutter, die gesund- und nicht krankgeschrieben ist: "Und dann ist alles wie früher. Und Mama muss nicht immer im Bett liegen und sie schimpft auch wieder." Die beiden beschließen, den Hecht zu fangen: Wenn ihnen das gelingt, dann wird ihre Mutter wieder gesund. Anna ist realistisch, gelegentlich auch eifersüchtig auf die angelnden Freunde und spürt, dass Gisela sterben wird. "Hechte fangen, das habe ich schon als Kind gelernt. Nein, das Hechtefangen zu beschreiben, das bereitete mir keine Schwierigkeiten. Aber die wirklichen Fragen über den Sinn des Lebens und Sterbens zu stellen, ist viel schwieriger. Kinder verdienen bei ihren Fragen mehr als billigen Trost, sie verdienen richtige Antworten, so richtig wie wir Erwachsenen das eben können." So schildert Jutta Richter die Baupläne zu ihren 'Worthäusern“, die sie stabil anlegt, um darin ihre LeserInnen wohnen zu lassen. In ihrer Dankesrede anlässlich der Verleihung des Katholischen Kinder- und Jugendbuchpreises für "Hechtsommer" verweist sie ihre ZuhörerInnen auf ihre Grundfrage 'Wachsen Rosen unterm Schnee?“ als Antrieb ihres Schreibens. "Um diese Frage beantworten zu können, muss ich zuerst den Schnee beschreiben. Die Kälte, die Unbehaustheit und das Alleingelassensein, den Schrecken, mit dem wir leben. Davor kann ich meine jungen LeserInnen nicht schützen, auch wenn besorgte PädagogInnen das häufig von mir verlangen. Aber während ich den Schnee beschreibe, wächst mit jedem Wort in mir die Gewissheit, dass unterm Schnee die Rosen wachsen." Engel sind da, aber nicht auf Abruf Wenn sie 'Engel“ sagt oder 'Unendlichkeit“ oder 'Ewigkeit“, klingt das bei ihr normal, man kann weiterreden, nachfragen und erfährt, dass einem das Leben so manche Antwort schuldig bleibt. "Ich habe zweimal das Sterben eines geliebten Menschen miterlebt, jetzt nach 13 Jahren konnte ich erst darüber schreiben. Lange will man diesen Abschied einfach nicht wahrhaben." Sie schreibt über Kinder, sie stellt Fragen, die nicht spezifische Kinder-Fragen sind, sondern die das leise, private Nachdenken über den Sinn des Lebens zur Sprache bringen. In ihren beiden Büchern 'Der Hund mit dem gelben Herzen oder die Geschichte vom Gegenteil“ und 'Der Tag, als ich lernte die Spinnen zu zähmen“, stehen ungewöhnliche Freundschaften im Zentrum. Sie erzählt von sprechenden Hunden und denkenden Katzen, von der menschlichen Feigheit, die Außenseiter lieber draußen lässt. Sie redet von Engeln wie von Bekannten, sie ersetzen die Freunde nicht, aber sie sind still und unaufdringlich da und außerdem so ganz und gar nicht brav und angepasst. "Kinder brauchen viel Zeit für sich, wir sollten sie möglichst in Ruhe lassen, sie würden gut auf Bäumen leben können. Wenn wir Kinder trödeln lassen, lernen sie sich selbst sehr gut kennen und verlieren sich nicht so schnell. Kinder haben bis zu einem gewissen Zeitpunkt die Ewigkeit in sich." Die Ewigkeit ist groß und sehr langsam Die studierte Theologin – 'ich habe mich für dieses Studium entschieden, weil hier irgendwie alle wichtigen Fragen des Lebens gestellt und gebündelt werden“ – spricht mit Hochachtung von Kindern: "Sie sind weise, sie sind geduldig mit uns Erwachsenen, wir könnten viel von ihnen lernen." Sie, die das Trödeln als Quelle tiefer Erkenntnis begreift, schickt die Protagonistin ihres neuesten Buches 'Die Katze - oder wie ich die Ewigkeit verloren habe“ auf einen besonderen Schulweg. Er führt an einer alten weißen Katze vorbei und dauert stets länger, als von den Erwachsenen vorgesehen. Die Ich-Erzählerin wird von ihrem Vater als 'Klüngelliese“ (Trödelliese) beschimpft, Lehrer Hanke nennt sie 'ein mutwilliges Mädchen“. "O, ja, mutwillig wollte ich sein. Ganz mutwillig. Mutwillige Mädchen galten so viel wie Hühner, die krähten. Und das war eine große Besonderheit. Ich war besonders. Ich hatte eine ganze Welt, die lag auf der Straße vor mir. Mit bunt schillernden Benzinpfützen. Mit roten schleimigen Nacktschnecken." (Die Katze, S. 10) Die Ewigkeit der Ich-Erzählerin fängt in der flimmernden Mittagshitze an, 'wenn wir beieinander standen und ich ihr leise die Wörter erklärte, die ich am Morgen gelernt hatte“. Die Geschichte lebt von den Dialogen der weißen, alten, mutwilligen Katze und der trödelnden, mutwilligen Erzählerin mit ihren Millionen von Fragen. Jutta Richters Buch führt Kinder und erwachsene LeserInnen zu gewöhnlichen Orten, vorbei an gewöhnlichen Katzen und an unauffälligen Menschen. Sie enthüllt die Geheimnisse der gewöhnlichen Orte, der gewöhnlichen Katzen und der unauffälligen Menschen. Ganz zärtlich und behutsam, mit nachdrücklicher Auf-müpfigkeit gegen Dogmen und Plattheiten. Die Schriftstellerin setzt deutliche Akzente mit klaren Bekenntnissen, auch zu einem Schäferhund, der in einen verrosteten Zwinger gesperrt ist. Der Ich-Erzählerin tut das Tier leid, die Katze faucht ihr zu: "Vergiss es. Er ist ein Opfer. Doch er wurde nicht als Opfer geboren. Niemand wird so geboren. Jedes Tier ist frei und stark und die Welt ist immer am Anfang ein Wunder." Mit der Wucht von täglich acht Stunden abgewogenen Worte treffen die Sätze, verwandeln sich in Fragen, manche Fragenknospe explodiert im eigenen Kopf als Erkenntnis oder als Erinnerung an Schon-einmal-Gedachtes. Vielleicht sollte man spazieren gehen, eine weiße, mutwillige, alte Katze suchen und sich an die Zeit erinnern, in der man selbst noch in der Ewigkeit wohnte. Bis dahin gibt es die Literatur, Bücher wie die von Jutta Richter, die Abschiede und Verluste in aller Schmerzhaftigkeit schildern und dabei unterm Schnee wachsende Rosen erahnen lassen. *bn* Christina Gastager-Repolust


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Personen: Richter, Jutta Berner, Rotraut Susanne (Ill.)

Schlagwörter: Autor <Deutschland>

Interessenkreis: Kinder

Richter, Jutta:
¬Die¬ Katze : oder Wie ich die Ewigkeit verloren habe / Jutta Richter. - München : Hanser, 2006. - 64 S. : Ill. (farb.)
ISBN 3-446-20793-7 fest geb. : ca. Eur 13,30

Zugangsnummer: 0014525001 - Barcode: 0000292986
Erzählungen - Signatur: JE Ric - Buch: Kinder/Jugend