Stavaric, Michael
In an schwoazzn Kittl gwicklt Gedichte
Buch: Dichtung

Sperriges, Verstörendes, Betörendes Gedichte aus Österreich Beruhigend, daß es nicht nur DichterInnen gibt, die Gedichte schreiben, und zwar gute, sondern auch Verlage, die selbige drucken, und zwar schön, oftmals mit Fadenbindung, Lesebändchen und in Zusammenarbeit mit Bildenden KünstlerInnen und PhotographInnen. Dann ist es aber auch schon genug mit der Beruhigung: denn die Gedichte, von denen hier zu berichten ist, sind häufig sperrig, verstören, betören aber auch und klingen lange nach. Zu wünschen ist ihnen allen ein zahlreiches, aufmerksames Lesepublikum. Gleich zu Beginn eine Entdeckung: Mario Hladicz (*1984) legt mit Gedichte zwischen Uhr und Bett ein vielversprechendes Debut vor. Nicht das Sprachexperiment ist seine Sache, sondern die genaue, oft pointiert zugespitzte Beobachtung, in die sich, fast unbemerkt und eher zwischen den Zeilen, philosophische Reflexion mischt, wie z.B. in »Verstecken«: »Beim Baum / zählt das Kind / von hundert herab, / dreht sich um - // und ist allein.« Es sind Bilder des Stillstands, die Hladicz beschwört, scheinbare Idyllen, in die sich unversehens Beunruhigendes mischt: »Die Stimmen kamen vom nahen / Gastgarten. Unter Sonnenschirmen / geschützte Litaneien über Stillstand / und Vergehen. Im Stiegenhaus / spielt die Katze ihr Spiel mit / einer Echse aus grauer Vorzeit. / Wir verloren damals massenhaft / Wimpern und kamen mit dem / Wünschen gar nicht mehr nach.« Dreimal 27 Gedichte versammelt er in diesem Panoptikum des heraufdämmernden Schreckens, und wenn es einmal Entwarnung gibt wie in »Das Herz«, dann nur, um neuen Schrecken die Tür zu öffnen: »Für einen Moment dachte er, / jetzt ist es so weit; // aber das Geräusch kam / aus der Nachbarwohnung, // wo Geschirr unerbittlich / an Wänden zu Bruch ging.« Es ist das Verdienst der edition keiper und ihres Herausgebers Helwig Brunner, daß Gedichte wie diese ein Forum erhalten. Ebenso verdienstvoll die von Nils Jensen, Sylvia Treudl und Hannes Vyoral betreute Reihe »Neue Lyrik aus Österreich«, deren bereits 18. Band neue Gedichte von Semier Insayif (*1965) versammelt. Bereits der Titel über zeugungen gibt die Richtung vor: es sind politische, sprachreflektierende Texte (die auch die Form des Sonetts mit einschließen), die Wörter zerreißen, neu zusammensetzen, durch Zeilenbruch, versteckte Reime und Kleinschreibung Zusammenhänge neu erschließen oder überhaupt neue Perspektiven eröffnen: »an nicht allen tagen / offen menschenhell wo / bilder dunkel sich zu rück / in ihre innerheit verschlagen / weilt ein sehnen dir als / welt und auge licht noch / erinnerung im ohr getragen / luft von damals heute ton / atem menschen sinn und zweifel / als behauptung bleibt das fragen«. Der letzte Vers verweist im übrigen auf Insayifs Poetologie (»aus uferung der worte«) und philosophischen Ansatz: die In-Frage-Stellung der Welt, ihrer Wahrnehmung durch uns und deren Versprachlichung (»ist alles ein suchen und wund«). Insayifs Gedichte sind Exerzitien; wer sich ihnen unterwirft, tut dies mit Gewinn. Das gleiche gilt für in an schwoazzn kittl gwicklt von Michael Stavaric (1972), wenngleich dessen Methode eine konträre ist: Stavaric - wie Insayif mehrsprachig und multikulturell aufgewachsen und geprägt - wagt es (was schon der Buchtitel nahelegt), in die Fußstapfen H.C. Artmanns und dessen legendärer Dialektgedichte zu treten, und wie dieser kreiert er einen eigenen Dialekt mit »øfalschenï Verschriftlichungen und orthographischen Irritationen« (wie er im Vorwort schreibt). Den ursprünglich im Dialekt verfaßten Gedichten stellt er hochdeutsche Versionen gegenüber, die durchaus als eigenständige Nachdichtungen gelten, aber die Kraft (wie den Humor) der Originale nicht erreichen können: »i hob des hajzl / vun di öltarn / neongrin gschdricha / net des wece / di gonze hittn / amoi rundum / damit s den nochborn / di augn aus m kopf drugt«. 83 Gedichte sind es, die uns einmal augenzwinkernd, einmal tieftraurig von den Abgründen der menschlichen bzw. österreichischen Seele erzählen: »i hob mai heaz / aingmauert / afach so / und warat i / a maura gwesen / don warats do / ni ni wida / aussekomma / um ma aufn / sack zu gen«, und gerade StavaricÆ Kunstdialekt ist geeignet, tiefer zu schürfen, als die Hochsprache dazu in der Lage ist; und Spaß macht die Lektüre obendrein. Auch Gerlinde Weinmüller (*1960) lotet aus - Beziehungen und die Sprache, wie schon der Titel ihres jüngsten Gedichtbandes liebes.länglich vorgibt -, auch sie spielt mit Wörtern und ihren vielfältigen und vervielfältigbaren Bedeutungen (so erzählt »ahnung« folgendes: »ein reh / hält mir weiß / seinen spiegel vor / ich ahne die anmut / der unschuld«), auch sie tut dies bisweilen augenzwinkernd und in aphoristischer Kürze (»irgendwann« lautet: »blicke wechseln und irgendwann / windeln«) oder scheinbar verspielt, bis sich bei erneuter Lektüre ein sanfter Schrecken einstellt (»trennung«: »dreimal am tag / denke ich / ganz bewusst / nicht / an dich«), doch im Gegensatz zu ihren früheren Gedichten sind sie diesmal stärker eingedunkelt wie das letzte und zugleich titelgebende Gedicht zeigt: »was bleibt / willst du wissen // trauerflor / liebeslänglich / und heimsucht nach dir / auch ein paar zärtlichtblicke / und etwas dunkelheiterkeit // vor allem aber die gewissheit // es war«. Aufgehellt und durchaus auch ironisch erweitert werden ihre Gedichte von Photographien Florian Herzogs: ein weiteres, die Sinne vielfältig ansprechendes Kunstbuch der Salzburger edition tandem. Im Grunde sind wir sehr verschieden nennt Lydia Steinbacher (*1993) nach Silex (2014) ihre zweite Lyriksammlung, der sie, als Doppelbegabung, zehn Brandmalbilder beigegeben hat, die nicht illustrieren, sondern die Atmosphäre der Gedichte weitertragen. So steht dem Gedicht »Zum Ende« (»es wächst trotz Regen nichts / als die Stille im Mund / der Geschmack / von Grenze // im feuchten Leintuch im Wind / trocknet mein Gesicht / nicht mehr / zur Gänze // das Holz des Stegs wird brüchig / zum Ende hin habe ich / immer weniger / Gewicht«) ein Bild gegenüber, das ein spärlich möbliertes Zimmer zeigt mit einer jungen, fast kindlichen Mädchenfigur, die, leicht vorgebeugt, nicht auf Sofa oder Lehnstuhl, sondern auf dem Boden hockt. Selten erschließen sich Steinbachers Gedichte schnell; sie benötigen Zeit und Geduld, ein genaues Lesen und Hin- und Nachhören, ein Nachspüren - dann erst können sie sich entfalten und werden zu hochpoetischen sprachlichen Gemälden, die offen bleiben für verschiedene Lesarten. Steinbacher läßt in »Zwischen Tür und Angel« ein lyrisches Ich etwas sagen, das man durchaus als poetologischen Verweis und Lesehilfe verstehen kann: »Bitte kein Sprechen, so dramatisch, / bitte nur durch Blumen und am besten / doch lieber gar nichts deutlich sagen.« Selbiges kann auch für Elke Laznias (*1974) genau gearbeitete Gedicht- und rhythmische Prosagedichtzyklen aus salzgehalt gelten, spröde und gleichzeitig poetische Sprachgebilde, die wiederholt gelesen werden wollen: »unter Schaumkronen bargen / wir das stille Mienenspiel / unseres Erinnerns / begannen zu erzählen / trugen einander unsere / Gesichter vor«. Illusionslos heißt es an einer Stelle: »alte Testamente werden umgeschrieben / vererbte Dankbarkeiten ausgeteilt / das liebe Wort ist es nicht wert (nie)« und kurz danach: »die Lügen sind uns die einzigen Wahrheiten / geblieben die uns weitertragen«. Nach ihrem hochpoetischen Prosadebut Kindheitswald (2014), einem Roman, den man durchaus auch als Poem bezeichnen könnte, erfüllt Laznia mit salzgehalt die geweckten Erwartungen, mehr noch: übertrifft sie, weil sie eine unverwechselbare Bilder- und Sprachwelt entwirft: »die gelichteten Jahre / haben uns aneinander altern lassen / horch das Klopfen es stoßen / unsere Fingerknochen aneinander«. Auch wenn sie düster sind, man folgt Laznias Wörtern und Sätzen vielleicht nicht gerne, weil sie schmerzen, aber zunehmend fasziniert: »zitterndes Bündel Kind, mein Aug, mein durchsichtiges, die brüllende Angst, die Not und so greifbar, wirklich, furchtbar wahr dieser Traum, entkommt ihm nicht, ganz und gar nichtà« siehe auch: Mario Hladicz: Gedichte zwischen Uhr und Bett. keiper lyrik, Band 15. edition keiper, Graz 2017. 103 Seiten. Semier Insayif: über zeugungen. Neue Lyrik aus Österreich, Band 18. Verlag Berger, Horn 2017. 64 Seiten. Elke Laznia: salzgehalt (Zeichnungen: Ludwig Hartinger). müry salz­mann, Salzburg-Wien 2017. 85 Seiten. Lydia Steinbacher: Im Grunde sind wir sehr verschieden. Limbus Verlag, Innsbruck 2017. 87 Seiten. Gerlinde Weinmüller: liebes.länglich. Gedichte und Kurzprosa (Fotos: Florian Herzog). edition tandem, Salzburg-Wien 2017. Unpag.


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Personen: Stavaric, Michael

Stavaric, Michael:
In an schwoazzn Kittl gwicklt : Gedichte / Michael Stavaric. - [1. Auflage]. - Wien : Czernin Verlag, 2017. - 111 Seiten ; 20 cm
ISBN 978-3-7076-0600-3 Festeinband : EUR 17.00

Zugangsnummer: 0016079001
Lyrik - Signatur: DL STAV - Buch: Dichtung