Jesch, Katalin
brüche auf brüche Gedichte
Buch: Dichtung

Gleich glittest du aus dir hinaus Sieben Lyrikbände des Jahres 2018 Gäbe es die Klein-, Kleinst- und Privatverlage nicht, es stünde um die Publikationsmöglichkeit poetischer Werke schlecht: Kaum ein Großverlag bringt mehr Gedichtbände heraus, und wenn, dann ganz verschämt, als wäre ihm Lyrik peinlich. Deshalb sind Mut und Aktivität der Kleinverleger auf diesem Terrain nicht hoch genug einzuschätzen, und umso schwerer wiegt das Ende einer der wichtigsten Publikationsreihen Österreichs, nämlich von »Neue Lyrik aus Österreich«. Aber das verdienstvolle Herausgeberteam (Nils Jensen, Sylvia Treudl, Hannes Vyoral) sah sich nach Band 22 dazu gezwungen, seine Tätigkeit einzustellen, nachdem bekannt geworden war, dass der Verlag und die ihm angeschlossene Druckerei ein rechtsgerichtetes Blatt nicht nur gedruckt, sondern in selbigem auch noch inseriert haben. Ein unrühmliches Ende einer der ganz wenigen Lyrikreihen, die es in Österreich noch gibt. Bleibt nur zu hoffen, daß es bald eine Fortsetzung unter besseren Vorzeichen geben wird.Umso erfreulicher die Fülle an außergewöhnlichen, oft in Zusammenarbeit mit bildenden KünstlerInnen entstandenen poetischen Werken. An erster Stelle sei hier Blick.Dichte von Sylvia Treudl (* 1959) und Beatrix Kramlovsky (* 1954) genannt. Die beiden befreundeten Künstlerinnen legen hier einen bibliophilen, großformatigen Band vor, nach dem man immer wieder gerne greifen wird. Aus dem umfassenden zeichnerischen îvre Kramlovskys, das mit wenigen Strichen (Pinsel, Stift, Feder, Tusche, Wasser, Wein u. a.) Alltagsszenen festhält und sehr häufig vor Ort entsteht, haben sie 91 Arbeiten aus den Jahren 1990-2017 ausgewählt und zu neun Zyklen (mit Titeln wie »Cafés und Wirtshäuser«, »Weltmärkte«, »In Dorfwelten à« oder »à und Weltdörfern«) zusammengestellt. Treudl antwortete auf die bildnerischen Petitessen mit 91 Gedichten, denen man den genauen Blick und Sinn für Details anmerkt und die einmal hochpoetisch, ein anderes Mal im Dialekt, einmal tiefgründig und dann wie-der witzig-augenzwinkernd daher-kommen, die Bilder nie sprachlich illustrierend oder gar interpretierend, sondern diese immer als Ausgangspunkt nehmend, um sie als Ganzes oder ein Detail weiterzuspinnen. Schwierig, ein Musterbeispiel auszuwählen, zu vielstimmig sind Treudls Gedichte; aber viel-leicht passt jenes mit dem Titel »Büchermarkt in Havanna«, weil es in gewissem Sinne programmatisch ist - für dieses Buch wie alle hier besprochenen Bände: »ein pflegeaufenthalt / für die betagten / eine zweite chance / für ungeliebte / achtlos abgelegte / ein laufsteg für / leichtlebige // ein standlfest / für jene / die gewohnt sind / wörter aus der hand zu füttern / auch / die bissigen / ungezähmten«. Gäbe es mehr solcher Bücher, der Alltag (um den es hier ja geht) fiele wesentlich leichter! Katalin Jesch (* 1963), in Ungarn geboren und die deutsche Sprache erst spät erlernend, legt mit brüche auf brüche ihren zweiten Gedichtband vor, eine genau komponierte Sammlung von fünf Zyklen zu je sieben Gedichten, die alle, interpunktionslos und klein geschrieben, die Sprache abklopfen, die Wörter befragen und menschliche Beziehungsgeflechte sicht- und hörbar machen, wie das Gedicht »täuschung« beweist: »deine worte / in meinem mund // meine worte / in deinen ohren // brennende wolken / in unseren augen // sonnen aufgang / abgang blenden«. Den spröden Wort-Meditationen gegenübergestellt sind Schwarz-Weiß-Fotografien ihrer Tochter Jeannine (* 1987), die das Verschwinden von Häusern zum Thema haben: Schutthalden sind da zu sehen, manche so groß und wirr, dass man an Bombentreffer erinnert wird, Bauzäune, Absperrgitter, Plakatwände - vor allem aber die an den Nachbarhäusern hinterlassenen Silhouetten der abgerissenen Bauten, eine Art Brandmale, Embleme einer in Auflösung befindlichen Welt. So gehen Wort und Bild eine Symbiose ein, ohne einander zu bebildern: »zerbrochen / durch scheiben / gehen wir / ein fensterkreuz mahnt«. Ein weiteres lesens- und sehenswertes Buch der ambitionierten Salzburger Edition Tandem. Günther Kaip (* 1960) ist eine Doppelbegabung, was er mit seiner jüngsten Publikation Eine Membran sind wir eindrücklich unter Beweis stellt: Zeichnungen abstrakt-surrealer Figuren in leeren, oft auch nur angedeuteten Räumen stellt er verknappte poetische Gebilde zur Seite, die in ihrer Dichte und poetischen Genauigkeit unmittelbar für sich einnehmen. So lautet »Nacht«: »Die Triebwerke der Nacht / laufen auf Hoch-touren, / ohne Hast und Verwirrung, / während die Dinge inne-halten, / in sich fallen, wachsen.« Ein Text stiller Schönheit. Allerdings spricht eine große Zahl der hier versammelten Gedichte von Abschied und Schmerz: »Auf dem Tisch deine Hand - / Tinte floss übers weiße Papier, damals, bevor du gingst. // Bis heute will die Tinte nicht trocknen, / formt unablässig Worte, / als wärest du noch hier.« (»Abschied«) Noch dunkler, emotional hoch aufgeladen, ohne jemals larmoyant zu werden, jene Gedichte, die vom Tod des Vaters erzählen: »Denk laut, sag es noch mal, langsam, / hebe jetzt die Füße, bitte lass dir Zeit. // Aus Vaters Kehle tönen Farben / vom Druck in seinem Körper, / der jetzt alle Fenster schließt, / um mit seinem Tod / ganz bei sich zu sein.« (Vor der Zustellung«) Das ist große Poesie, genährt vom Schmerz des Verlusts. Eine andere Dunkelheit grundiert die 86 Gedichte aus unter tag licht von Eva Löchli (* 1951), die das lyrische Ich vor Begegnungen zurückweichen, skeptisch die Welt betrachten lässt: »man geht / über leichen / freilich die eigene / auch« heißt es im Thomas Bernhard gewidmeten Gedicht »gemein«, und in »schwinden« lesen wir: »die asche und / der rauch das / sind wir und / schattenbilder dort / auf einem stein / der lächelt«. Dann wieder schleichen sich klare, ein-fach schöne Naturbilder ein, die das Dunkel konterkarieren: »hast dich / in die Welt gelegt / wie selbstverständlich / eingebettet / zwischen runde ufer // als gäbe es / keinen schrei / kein stöhnen / aus lust / aus angst // nur fließen« (»fluss«). Aber selbst in einem Gedicht wie diesem findet sich die Ambivalenz des (Da-)Seins, die das Schöne nicht einfach schön sein lassen kann, weil unter der Oberfläche Gefahr lauert, der Löchli nur eines entgegenzusetzen weiß: Rhythmus, Klang (meist in der Häufung von Alliterationen) und Bilder aus der Natur (wenngleich auch diese gebrochen sind): »das alte wasser / das da / über den scharfen grat / fließt / über kaskaden / fällt / wird nach und nach / wenn es gefasst ist / zu smaragden / die leuchten in der nacht / nach denen es / so lange schon / den wanderer / verlangt.« (»nach der angst«) Am Abgrund und im Himmel zuhause heißt der nur 15 Ge dichte und einen Prolog umfassende Zyklus von Sabine Gruber (* 1963), erschienen in einer bibliophilen Reihe (Fadenbindung, Großdruck, kartoniert) des Haymon Verlags, und auch hier spricht ein lyrisches Ich von Verlust, Trauer, Schmerz und tut dies in einer unprätentiösen, präzisen Sprache, die dennoch oder gerade deshalb Gefühle zulassen und sie uns nachempfinden lassen kann: »Die halbe Wohnung, das halbe / Zimmer, das halbe Leben: Liebe / Ohne Linderung. Wo soll die Hand / Hin, warum halten die Vorhänge / Still?« lautet das Gedicht »V« und findet seine Fortsetzung im Gedicht »X«: »Am Morgen erinnere ich das Stern / Bild deiner Leberflecken. Ich / Zeichne es auf meine Haut / Zwischen Narben und Falten / Wartet Venus vergeblich / Auf den Abend.« Das letzte Gedicht beginnt mit einem Satz, den wohl die meisten unterschreiben würden: »Nein, an die Ewigkeit haben wir / Nicht geglaubt, aber an einen allzu / Fernen Tod«, und dennoch trifft er beim Lesen wie ein Keulenschlag und erinnert auf unmissverständliche, fast gnadenlose Art an die eigene Sterblichkeit. Selbst dem letzten Satz des Zyklus, der eigentlich tröstlich sein will, gelingt dieser Trost nicht wirklich: »Am Glück der Gleichzeitigkeit / Hielten wir fest, an unseren Ideen / Farben, Formen, Sätzen, auch wenn / Wir manchmal aus unseren Leben / Fielen, ungestüm oder verzweifelt / Am Abgrund und im Himmel zu-hause.« Ein schmales, in seiner Unerbittlichkeit schmerzliches und durch seine Sprache gleichzeitig beglückendes Buch.Schon beim Titel stolpert man: über Wort und warte, und so ergeht es einem auch beim Lesen von Barbara Rauchenbergers (* 1968) erstem Gedichtband. Ihre Gedichte »sind scheue Wesen. Wer die falschen Fragen an sie richtet und Zutritt zu stabilen, eindeutig vermessbaren Bedeutungsräumen verlangt, dem entfremden sie sich mit stummem Kopfschütteln« schreibt Helwig Brunner treffend in seinem Nachwort. Nur - was sind die rich-tigen Fragen? Oder ist es nicht besser, keine Fragen zu stellen und sich ganz einfach Rauchenbergers Worten zu überlassen und zu vertrauen, dass sie schon wissen, was sie meinen, und uns staunende, kopfschüttelnde Leser Innen weiterführen, als es die erste Lesart nahelegt? »Ich geh / durch meine Schuld / führt Schnee // So viel ich weiß / sind Quitten blau«, lautet eines ihrer geheimnisvollen kurzen Gedichte und ein anderes: »Kann sein / der Schmerz am Ende / spornt uns an.« Oft sind ihre Gedichte von aphoristischer Kürze, lesen sich manchmal wie buddhistische Koans, erschließen sich selten nach dem ersten Lesen. Die Frage ist, ob sich Gedichte wie diese erschließen lassen wollen, überhaupt entschlüsselbar sind, ohne ihren Reiz zu verlieren. Im Fall von Rauchenbergers Gedichten und lyrischen Notaten vertraue ich ganz ihrer Poesie und freue mich über Verse wie diese: »Kein Wort ist zu hören / unterm Goldrand des Sommers / geistert die Zeit // und das Bangen der Gräser / leuchtet uns ein.« (»ars vivendi«) Der letzte Blick soll Julian Schuttings (* 1937) Unter Palmen gelten, einer Sammlung von vier Langgedichten, von denen das kürzeste neun und das längste 23 Seiten umfasst. Wie immer macht es uns Schutting nicht leicht: in seine mäandernden, syntaktisch vertrackten Beobachtungen und Erinnerungen mischen sich Ironie ebenso wie Pathos, Lobgesang (auf Palmen) und Querverweise auf Mythen und Literatur, Sprachphilosophisches und Sprachverspieltes, Naturseliges und Politisches. Nicht alles erschließt sich gleich bei der ersten Lektüre, anderes wiederum spricht einen unmittelbar an, wenn es z. B. heißt: »nicht frei-gesprochen bleibt man von verjährt jäh wieder- / aufgewachten Tagen« oder »auf ihrem liebsten Berg, unserem Ötscher, / hätte die Mutter wohl das gutgeheißen: / daß durch die Lüfte davontrügen Geier, / was sich mühen muß, zu Erde zu werden!« Kein Zweifel: Hier spricht ein Mensch und Dichter, der unter dem überwältigenden Eindruck fremder Natur und Kultur sich dem Strom ebenso überwältigender Assoziationen überlässt und ein singuläres Werk schafft. Am schönsten und beglückendsten scheinen mir jene Passagen, die in für Schutting fast ungewohnt schlichter Sprache von elementarer Erfahrung sprechen: »Erstmals in einem Land zu sein, in welchem / Zuckerrohr wächst und Sisal, / in welchem Papayas kennt ein jeder Kind; / und nie zuvor gehörte Vogelstimmen / zu dir dringen, sooft es, auch das für dich / ein erstes Mal, unter Minuten Tag wird; und zur Nachtzeit breitet sich über uns aus / ein fremder Sternenhimmel, / alle Sternbilder erscheinen dir ver-rückt, / und ein gekippter Halbmond / scheint besagen zu wollen, gleich glittest du / für lange aus dir hinaus -«.


Dieses Medium ist verfügbar. Es kann vorgemerkt oder direkt vor Ort ausgeliehen werden.

Personen: Jesch, Katalin

Schlagwörter: Gedichte

Jesch, Katalin:
brüche auf brüche : Gedichte / Katalin Jesch; Fotografien Jeannine Jesch : Edition Tandem, 2018. - 71 Seiten
ISBN 978-3-902932-82-2 fest geb. : ca. Eur 16,50

Zugangsnummer: 0028291001
Epen, Märchen, epische Kleinformen - Signatur: DD JES - Buch: Dichtung