Rogge, Jan-Uwe
Geschichten gegen Ängste so helfen Sie Ihrem Kind ; mit Audio-CD
Buch

Die heilende Wirkung der Geschichten Jan-Uwe Rogges Geschichten gegen Ängste von Christina Gastager-Repolust Die kleine Katharina wohnt auf einem großen Bauernhof mit einem Strohdach: dort ist es besonders unheimlich, wenn draußen ein Unwetter mit seinen gespenstischen Blitzen und seinem grollendem Donner tobt. Bei jedem dieser Unwetter versammelt ihre Großmutter alle Enkelkinder um einen großen, runden Tisch; bei Kerzenlicht liest sie aus einem Märchenbuch vor. Das Buch hat einen schwarzen Ledereinband, in ihm wohnen böse Hexen und gute Feen, starke Helden und schöne Prinzessinnen, alle Geschichten beherbergen zauberhaftes Gruseln. Wir Kinder vergaßen dann das Gewitter, wir fühlten uns aufgehoben in der schummrigen Atmosphäre, unsere Ängste waren wie weggeblasen. Wir gruselten uns so sehr vor den Geschichten, dagegen kamen Blitz und Donner nicht an, erinnert sich Katharina, in der Familie "Trinchenô genannt. Dass diese weise Großmutter, die sich mit ihrer Vorlesestimme den Naturgewalten widersetzte, für alle Fälle zuvor die wichtigsten Papiere - sollte nun doch der Blitz einschlagen - eingesammelt hatte, dokumentiert neben Güte, Liebe und Weisheit ihren Realitätssinn. Die kleine Katharina von damals ist die Großmutter des bekannten Familientherapeuten und Autors Jan-Uwe Rogge. Ihr Enkel widmet ihr die Einführung "Was die Großmutter noch wussteô seines neuesten Buches "Geschichten gegen Ängste. So helfen Sie Ihrem Kindô. Wer je einen Vortrag Rogges miterlebt, wer seine Bücher gelesen hat - sie sind alle Bestseller geworden -, ist von seiner Phantasie, seiner Fähigkeit, Dinge auf den Punkt zu bringen und klar zu benennen, fasziniert. Da sagt einer, was man auch schon immer dachte, und lächelt noch dabei. Da sagt einem "der Roggeô die Wahrheit, die man noch nie gerne gehört hat, auf den Kopf zu mitten ins Herz und man vergisst, böse zu werden oder gar zu widersprechen! Angst gehört zum Leben Du brauchst doch keine Angst habenô, sagen die Erwachsenen, die sich mit ihrer Zeitung auf die Klobrillen setzen und einfach nicht daran denken, dass eine Hand oder gar eine Hexe, ein Männchen oder eine Schlange im Abfluss auf sie warten könnten. Die 4-jährige Sabine denkt sehr wohl an die Gefahren, die auf der Toilette auf sie lauern, und geht im Kindergarten auch nicht aufs Kinderklo, zweimal schon ist ihr "ein kleines Malheurô passiert, aber das, was auf der Toilette passieren könnte, wäre ja noch weit schrecklicher! Paul, du kleiner Angsthase, du musst dich doch nicht fürchtenô, beschwichtigen nur jene Erwachsenen, die wirklich ruhig in ihren Betten liegen, weil ihnen die Phantasie dazu fehlt sich vorzustellen, wer sich da alles unter ihren weichen Decken versammelt: ein Vampir, ein Dinosaurier, eine Hexe, eine Schlange. Übrigens sollen schon Erwachsene dabei gesehen worden sein, dass sie nach "XY-ungelöstô oder "Psychoô überprüften, ob alle Türen geschlossen sind, die waren natürlich nicht ängstlich, nur sicherheitsbewusst. Rogges Ansatz und Basis seiner Geschichten lautet einfach und kompakt: Angst gehört zum Leben und damit zur Entwicklung, übrigens ein Leben lang. Die Ausage "Mit Kindern zu leben, heißt, von ihnen zu lernenô, ist zum Weinen wahr. Kinder und ihre unsichtbaren Gefährten In Kinderleben folgen auf Momente der Trauer strahlende Glücksmomente, Sequenzen, in denen die Furcht dominiert, folgen auf "Muttageô, jene Tage, an denen sich Kinder weder vor dem großen Hund vorne an der Ecke noch davor fürchten, dass ihre Großmutter sterben könnte - plötzlich aufhören würde zu atmen und dann nicht mehr da wäre. Trauer, Schmerz und Tränen, viele Fragezeichen und einige Ausrufzeichen: so gestaltet sich die Interpunktion der kindlichen Gefühle in der Achterbahn des Kinderalltags. Kinder erleben konkrete sowie diffuse, unklare Ängste. Berta hat ihren Kuschelbären nicht mehr losgelassen, bis ihr Vater ausgezogen ist und sie ihn in der neuen Wohnung besucht hat; fünf Monate nach der Trennung ihrer Eltern empfindet Berta ihr Leben wieder so gesichert, dass sie den Kuschelbären auf ihrem Bett sitzen lässt, wenn sie in die Schule geht. Peter hat einen Freund, der ihn vor allen großen Hunden im Ort beschützt: Peters Freund heißt "Berniô, mit ihm versteht er sich am allerbesten, mit ihm baut er im Sandkasten die größte Burg, für ihn steckt er morgens einen Müsliriegel ein und für ihn soll seine Mama endlich auch ein Gedeck auf den Mittagstisch legen. Berni schläft bei Peter im Bett, fährt mit ihm auf Urlaub und es ist wohl klar, dass Berni die kleine Peter-Schwester auch nicht sonderlich mag. Übrigens: die anderen sehen ihn nicht, Mama legt jetzt aber ein Gedeck für Berni auf und Papa hat auch schon begriffen. "Ist Berni schon eingestiegen?ô, hat er sich gestern beim Ausflug in den Zoo erkundigt. Manchen Eltern macht die Anwesenheit des unsichtbaren Freundes, einer Phantasiegestalt, Angst; sie interpretieren diese Phantasien als Flucht der Kinder aus der Realität, befürchten, hier würden sich Phantasie und Realität unkontrolliert vermischen. Auch hier beruhigt Jan-Uwe Rogge: Solche Figuren sind für die gefühlsmäßige Entwicklung des Kindes außerordentlich wichtig. Die Gefährten füllen Lücken im noch unvollständigen intellektuellen und emotionalen Lernprozess - und sie sind ungefährlich für das Kind. Es lässt sich freiwillig auf sie ein, es bestimmt über sie, es lenkt sie, das Kind besetzt die Figuren mit eigenen Wünschen. Die Heilkraft der Rituale Geschichten können nicht zwischendurch oder nebenbei erzählt bzw. gehört werden. Geschichten sind fordernd: sie wollen einen guten, sicheren Rahmen, sie brauchen einen bestimmten Ort - vielleicht lieben sie die Eckbank in der Küche - und sie wollen eine bestimmte Zeit. Dann sind sie bereit, zu klingen und sich den Zuhörer/innen ganz zu öffnen. Es sind die in Rogges Buch poetisch beschriebenen "heilenden Kräfteô im Kind, die es Rituale lieben und zielsicher Wege zur Angstverarbeitung suchen lassen. Entwicklung und Alltag von Kindern sind von Ritualen begleitet: die Körperhygiene, das Stillen im ersten Lebensjahr, später die Einschlafgewohnheiten mit Gutenachtgeschichten und Kuscheltier, der Tagesablauf mit zeitlichen und räumlichen Strukturen, Aggressionsrituale beim Raufen und Rangeln, das Erlernen von Konfliktlösungen, das Erleben von eigen- und selbstbestimmter Zeit: Bummeln, Trödeln, Sich-Vergessen und In-der-Zeit-Verlieren einerseits, die Vorgabe von Zeitstruktur in Kindergarten, Schule oder Hort andererseits, vollzieht der Familientherapeut Entwicklung im Alltag nach und weist auf die Ruheplätze und Kuschelecken hin, Orte der Geborgenheit, ideal zum Erzählen und Zuhören. Im Gespräch benennt Rogge die wichtigsten Rahmenbedingungen für das Erzählen als stützendes, begleitendes Ritual im Alltag der Kinder: Es sollte in einem dem Kind vertrauten Raum und zu einer bestimmten Zeit - vielleicht vor dem Zubettgehen oder am späten Nachmittag - erzählt werden. Die Geschichten und ihre Wirkung leben von der Vertrautheit zwischen Erzähler/innen und Kindern, von Ruhe und davon, dass sich das Ritual aus dem Alltag abhebt. Die Wiederholung gibt dem Kind Sicherheit, aus den immer wiederkehrenden Ritualen des Erzählens entwickelt das Kind das Gefühl, Situationen kontrollieren zu können. [Gespräch mit Jan-Uwe Rogge, 16. September 2002] Wer Kindern erzählt, ist ihnen sehr nahe, das ist ein Geschenk. Beim Erzählritual öffnen sich die Kinder: wer erzählt oder vorliest, bemerkt ihr plötzliches Schweigen, ihre Aufregung, spürt, wenn sie näher rücken oder sich distanzieren. "Warum macht er das wohlô, erkundigt sich Lisa und meint die Handlung des Helden? "Was glaubst du, warum er das macht?ô, sowie die weitere Frage: "Wie würdest du denn reagieren?ô schaffen die Verbindung vom Probehandeln des Helden hin zur Realität des realen Kindes. Auch hier gilt: Holzhammermethoden sind nicht aus der Liebe zu und dem Respekt vor Kindern entstanden, sie versuchen plump, erfahrenes Wissen umzusetzen ohne das Gegenüber, in diesem Fall das Kind, wahrzunehmen. Oft stört das Fragen, oft reicht es, die Geschichte zu erzählen, Nähe zuzulassen und darauf zu vertrauen, dass die Geschichte im Kind - natürlich auch im Erwachsenen - weiter wirkt. Geschichten lehren ihre Vorleser/innen und Erzähler/innen Geduld und Vertrauen, Geschichten sind keine Reparaturprogramme, kein Virenschutz und ersetzen auch die Zecken-Impfung nicht: sie sind ein Kommunikationsangebot an das Kind, sie geben den Erwachsenen die Möglichkeit, ihre Stimme aus dem Alltagstrott zu befreien, sich zu erproben, die Stimmlage zu ändern, zu wechseln. Die elterlichen "Räum dein Zimmer auf!ô- oder "Hast du die Zähne geputzt?ô-Stimmen gehen auf Urlaub, erholen sich, wenn die Eltern "Es war einmal der kleine Franzô zu erzählen oder zu lesen beginnen. Was wären wir doch für nette Menschen, würden wir öfter erzählen/vorlesen und seltener reden, dozieren, schönreden, krankreden oder gar moderieren. Ängste und kindliche Entwicklung Der kleine Alex geht eines Tages nur noch ungern in den Kindergarten. Er wirkt ängstlich, verunsichert. Aber wenn man ihn fragt, antwortet er nur: "Ich weiß nicht, wovor ich Angst habe.ô So beginnt Jan-Uwe Rogge die Rahmengeschichte zu "Klara, das Känguru und der Zaubersteinô. Er erfindet Klara, das kleine, ängstliche Känguru, das von den anderen Kängurus ausgeschlossen und verspottet wird, lässt es dem großen, starken Löwen begegnen, der auf einem Zauberstein sitzt. Der alte Löwe Leopold schenkt dem kleinen Känguru den Stein: Das ist kein Stein gegen das Traurigsein. Wenn du den hast, fühlst du dich stark. Und wenn du stark bist, wirst du auch mal traurig sein, sonst wüßtest du nie, was glücklich ist. Ich schenk ihn dir, ich brauch ihn nicht mehr, ich bin ein starker, ein trauriger und glücklicher Leopold. Alex kann diese Mutmach-Geschichte an diesem Tag schon beinahe auswendig und als er am dritten Tag mit ausgbeulten Hosentaschen - vorsichtig, damit nichts aus den Taschen herausfällt - im Kindergarten auftaucht, ist klar: die Geschichte hat Alex erreicht, hat ihn motiviert, die starken Bilder über Gefühle begleiten ihn. Die Geschichten handeln von entwicklungsbedingten Ängsten, jenen, die sich im kindlichen Lebenslauf herausbilden, das Kind eine Zeit lang begleiten, dann scheinbar verschwinden, um später mit verändertem Gesicht wieder aufzutauchen, beschreibt der Autor seine zehn Geschichten, in denen Tiere, ein Pirat, der Räuber Hotzenplotz und natürlich auch Jan und Trinchen über ihre Fragen und angstmachende Lebenssituationn reden. Rogge bezieht klar Position: "Wer Kinder vor Ängsten schützt, liefert sie ihnen aus.ô "Was, schon wieder das Katzenbuch!ô Kinder lieben Wiederholungen, die Entwicklungspsychologie benennt die Bedeutung von Ritualen für Kinder und definiert den kindlichen Wunsch, einen Reim, ein Lied, eine Geschichte immer wieder und noch einmal und noch einmal hören zu wollen, als Beheimatungsstrategie, als Akt der Kinder, sich Sicherheiten zu (ver)schaffen. "Willst du nicht eines der neuen Bilderbücherô, versuchen Erwachsene zu locken. Dabei hat Laura doch der Katze versprochen, dass sie sie wieder mit nach Hause nimmt. Daher: "Ich will das Buch mit der Katze!ô In diesen Situationen - ist mit dem Kind wohl alles in Ordnung?! - vergessen die beteiligten Großen oft, dass sie sich gestern "Casablancaô zum fünfundvierzigsten Male ansahen und sich - fest in die Wolldecke gekuschelt - versicherten, dass es die große Liebe gibt. Bibliothekare/innen wissen um die Wirkung von Geschichten, sie suchen die Bilderbücher, Geschichtensammlungen und Kinder- und Jugendromane einerseits nach ästhetischen Kriterien und andererseits nach pädagogischen Gesichtspunkten aus. In der Praxis folgendermaßen: sie greifen zu Büchern, bei denen ihnen das Herz - nicht näher definiert - aufgeht. Dann kaufen sie auch Bücher, bei denen ihnen die Augen aufgehen - auch nicht näher zu definieren. Daneben kaufen sie Bücher, die das Kind in ihnen anspricht und sie erstehen Bücher, von denen sie sagen: "Die brauchen wir unbedingtô. Deshalb mag ich Bibliothekare/innen. Vielleicht hat das Kind in der Bibliothekarin den Kauf eines als "kitschigô denunzierten, bunten Buches ertrotzt, vielleicht! Aber sie alle meinen es gut: sie alle wollen Bücher anbieten, die Kinder glücklich machen. Oder neugierig, oder aufmüpfig oder zufrieden. Sie stellen beispielsweise ein Bilderbuch ins Regal, das von einem kleinen Mädchen erzählt, das sich vor dem Klo im Kindergarten fürchtet. Das versteht jeder/jede, nur manche Erwachsene tun so, als ob sie sich nie gefürchtete hätten, dass da eine Hand aus dem Klo greift, so chic kann das Klo heut ja gar nicht sein, dass man sich nicht erinnern könnte: an Omas Plumpsklo und all die Unheimlichkeiten, die einem widerfahren, kaum hat man die sichere Windel und den so vertrauten, erdverbundenen Topf verlassen (müssen). Wenn Kinder erfahren dürfen, dass Ängste ein Bestandteil des Lebens sind, schenken Eltern ihnen und sich die Chance, verborgene schöpferische Kräfte zu heben. Dann wird es auch möglich, dass ein kleiner Jan den Tod seiner Uroma Katharina mit einem rituellen Lied verarbeitet, das er ihr zusingt, während sie auf einer klitzekleinen Wolke verschwindet: "Ich habe Omama gesehen. In den Wolken. Sie hat tschüss gesagt. " *bn* Christina Gastager-Repolust


Rezension


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Personen: Rogge, Jan-Uwe

Schlagwörter: Angst Kind Kinderpsychologie

Interessenkreis: Erziehung

Rogge, Jan-Uwe:
Geschichten gegen Ängste : so helfen Sie Ihrem Kind ; mit Audio-CD / Jan-Uwe Rogge. - Reinbek : Rowohlt, 2002. - 95 S. : Ill. + 1 CD. - Erziehung
ISBN 978-3-499-60977-0 EUR 10.20

Zugangsnummer: 7110
Philosophie,Psychologie,Pädagogik,Relig - Signatur: PI Rog - Buch