Hammerl, Elfriede
Alte Geschichten Erzählungen
Buch

Quelle: Pool Feuilleton; Manche Geschichten lassen sich nicht unterkriegen und tauchen gerade dann auf, wenn man sie am wenigsten gebrauchen kann. Diese "alten Geschichten" werden oft mit einer lässigen Handbewegung zuerst abgewehrt und dann doch erzählt. Elfriede Hammerl erzählt von diesen jähen Situationen, wenn in einer geordneten Erinnerungskultur plötzlich alte Sachen hervorschießen. In der Eingangsgeschichte ist es etwa ein Schnauzbart, der ungeplant ums Eck schaut und schon die alte Geschichte mit der Zeckenimpfung lostritt. Knapp wie ein bestimmter Gesichtsausdruck wird offensichtlich auch die gesamte Persönlichkeit in der Erinnerung abgelegt. In der ersten Fallgeschichte unterscheiden sich die Bekannten durch ihre Einschätzung zur Zeckenimpfung. Es gibt die Risikobereiten und die Ignoranten, ihre Impfentscheidung hat freilich auf den Verlauf des Lebens keinen Einfluss. Die neun Geschichten wachsen beim Lesen zu einem Guss zusammen. Natürlich tauchen verschiedene Familienkonstellationen auf, Namen werden genannt, die man nur als Entscheidungsträger für ein Stück Fiktion nimmt. Im Prinzip setzt sich in allen Geschichten sofort ein intimer Ton durch, der aus beiläufigen Geschehnissen die entscheidenden Fragen aufrollt: Hätte das Leben anders verlaufen sollen? Kannst du das Leben so in Ordnung lassen, wie es gelaufen ist? Von hinten her betrachtet wird das Leben immer zu einer alten Geschichte, der man keine Alternative mehr entgegensetzen kann, weil schon alles gelaufen ist. In der Erzählung "Das andere Leben" (59) beklagt die Protagonistin, dass das Leben immer von ihr getrennt abgelaufen ist. Sie war brave Enkelin, die die Großmutter gepflegt hat, brave Ehefrau, brave Mutter und ist jetzt selbstverständlich brave Großmutter. Nur einmal wäre es beinahe richtig gelaufen, als sie nach einem Sturz ins Krankenhaus musste und dort einen Oberarzt kennenlernte. Aber der war nicht geeignet, für ihre Geschichte, und so bleiben Plan und wirkliches Leben weiterhin getrennt, streng beäugt von der Enkelschar. So sehr man die Erzählposition auch verändert, das Thema bleibt immer gleich, alle werden älter und die Zeit bleibt nicht stehen. Ob aus der Sicht der Enkelin, Tochter, Partnerin oder Verlassenen, es läuft auf beunruhigend fatalistische Sätze hinaus. Nach der Lektüre des Romans "Vom Winde verweht" sagt jemand, man weiß am Ende doch nie, wer wen verlassen hat. (50) Längst abgetretene Personen kriegen noch eine unsterbliche Erinnerung: "Vor ein paar Tagen wäre Carl 110 geworden." (97) Auch nach dem Tod sind die alten Geschichten nicht aus. Und andere wollen gleich gar nichts vergessen, wenn sie nach Jahrzehnten noch darauf Wert legen, dass sie zwar aus der Provinz kommen aber nicht vom Land. (113) Elfriede Hammerl blättert sich durch die Alben gereifter Heldinnen, denen man nichts mehr erzählen kann, weil schon alles gelaufen ist. Die Klugen von ihnen gestalten den Rückblick milde und augenzwinkernd, die Enttäuschten mit einem Seufzer und achselzuckend. Aber allen ist gemein, dass sie das Feuer des Alters angeworfen haben, das wärmt, wenn selbst die Sommertage mit Frösteln ausklingen. Helmuth Schönauer


Rezension


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Personen: Hammerl, Elfriede

Hammerl, Elfriede:
Alte Geschichten : Erzählungen / Elfriede Hammerl. - Wien : Kremayr & Scheriau, 2018. - 190 S.
ISBN 978-3-218-01106-8

Zugangsnummer: 2764
Romane, Erzählungen, Novellen - Signatur: DR Hamm - Buch