Bondoux, Anne-Laure
Die Zeit der Wunder
Buch

Quelle: 1000 und 1 Buch (http://www.1001buch.at/); Autor: Franz Derdak; Annotation: In Ich-Form erzähltes Schicksal eines jungen Flüchtlings aus dem Kaukasus - verwoben mit kriegerischen und familiären Wirrnissen. Rezension: Zum Thema Zentralasien sind aus der Jugendliteratur der letzten Jahre besonders die drei Bände um das Mädchen Parvana, erzählt von Deborah Ellis, hervorzuheben ("Die Sonne im Gesicht. Ein Mädchen in Afghanistan", "Allein nach Mazar-e Sharif" und "Am Meer wird es kühl sein", Jungbrunnen). Nennenswert sind auch "Hesmats Flucht" von Wolfgang Böhmer (cbt) über die tragische Flucht eines afghanischen Burschen bis nach Österreich und der preisgekrönte Roman "70 Meilen zum Paradies" über die Fluchtbewegung aus Nordafrika nach Europa von Robert Klement (Jungbrunnen). Der vorliegende Roman von Anne-Laure Bondoux zeigt nach dem abrupten Einstieg, der Erstbegegnung des Protagonisten mit Frankreich, im Erstaufnahmezentrum, in einer - breite Strecken des Buches in Anspruch nehmenden - Schilderung die sich stetig verschärfende Situation im kaukasischen Heimatland des Kindes und die sich eröffnende Hoffnung einer Ausreisemöglichkeit nach Frankreich. Aus der Sicht des anfangs 7-jährigen Buben Koumaïl wird die Flucht des mittlerweile 10-Jährigen, begleitet von einer - wie es scheint - fürsorglichen Frau, Gloria, aus Suchumi über Russland, die Ukraine und Moldawien nach Rumänien erzählt, wo sie Unterschlupf in einem sogenannten Zigeunerlager finden. Mittlerweile zwölf Jahre alt geworden, bricht Koumaïl mit Gloria und den Roma nach Westen auf - in der Hoffnung, bald durch Paris zu spazieren. Doch er wird von einer Zollkontrolle mitten aus einer LKW-Ladung Schweine heraus gefasst. Gloria ist verschwunden. Jahre zunehmender Inkulturation in Frankreich bis zur Volljährigkeit folgen, in denen der Junge Gloria stets vermisst. Schließlich findet er sie in Georgien todkrank auf und kann noch kurz die Freude erleben, sie als seine Mutter zu erfahren - womit die "Zeit der Wunder" endet, sein Vater war ein für die Unabhängigkeit Georgiens kämpfender Terrorist. Dieser große Lebensausschnitt des in Ich-Form erzählenden Burschen von der Kindheit bis zum Erwachsensein mit der entsprechenden breiten Identifikationsmöglichkeit bietet die Chance, dass der berührende Roman sowohl von Kindern als auch von Erwachsenen gelesen wird. ---- Quelle: bn.bibliotheksnachrichten (http://www.biblio.at/literatur/bn/index.html); Autor: Cornelia Gstöttinger; Die Hoffnung, die in den Träumen steckt, lässt den Flüchtlingsjungen Koumaïl Grenzen überwinden. (ab 12) (JE) Darf man in Kriegszeiten verliebt und glücklich sein? "Glücklich sein wird zu jeder Zeit empfohlen" (S. 60) - diese Worte seiner Ziehmutter Gloria nimmt sich der genügsame und herzensgute Flüchtlingsjunge Koumaïl zu Herzen. Er ist gemeinsam mit der toughen Gloria auf der Flucht aus dem bürgerkriegserschütterten Kaukasus, einer Gegend, in der es gefährlich ist für die Kleinen und Schwachen. Wie Geister wandern Flüchtlinge von Tal zu Tal. Koumaïls Ziel: Frankreich. Dort, im Land der Menschenrechte, wird alles gut, dort kann er endlich seine Mutter finden. Denn Koumaïls Herkunft ist voller Rätsel, Gloria hat ihn als Säugling nach einem Zugsunglück zu sich genommen. Zu früh muss er lernen, der Verzweiflung nicht zu viel Platz einzuräumen, damit sie nicht die Seele zerfrisst. Ohne jammern nimmt er die Widrigkeiten des Lebens in Kauf. In einer Rückblende lässt uns der liebenswerte Ich-Erzähler aus einer kindlich-naiven Erzählperspektive an seinem beschwerlichen Weg in den Westen teilhaben und schildert seine abenteuerliche und bewegende Geschichte, die wie ein Märchen anmutet. Der französischen Autorin ist ein äußerst poetischer, feinsinniger Text über den Kaukasuskonflikt gelungen. "Manchmal macht das Erfinden von Geschichten die Wirklichkeit erträglicher" - erst gegen Ende des Romans offenbart sich den LeserInnen die volle Wahrheit, die sich in diesem Satz verbirgt. Das besonders empfehlenswerte Jugendbuch wurde mit dem Katholischen Kinder- und Jugendbuchpreis 2012 ausgezeichnet und ist wegen der kurzen Kapitel bereits für LeserInnen ab 12, aufgrund der fein ziselierten Prosa aber auch für Erwachsene geeignet. Fazit: Ein kleines Juwel, das Hoffnung und Lebensmut ausstrahlt und tief berührt. Man möchte dem sympathischen Koumaïl noch viele Wunder wünschen! ---- Quelle: STUBE (http://www.stube.at/); Der Ich-Erzähler Koumaïl erzählt retrospektiv von seiner Kindheit auf der Flucht: Jahre in denen die einzige Konstante Gloria ist, die ihm immer wieder erzählt, wie sie ihn als Baby zu sich genommen hat. Schließlich werden sie getrennt und Koumaïl kommt allein in Frankreich an. Jahre später gelingt es ihm, die schwerkranke Gloria in einem Spital in Tiflis wiederzufinden. Kurz vor ihrem Tod erzählt sie ihm ein weiteres Mal seine Geschichte: Eine neue Fassung, nämlich die Wahrheit. Im herzergreifenden Ende wird deutlich, dass Gloria ihr Leben nur mit dem Neu-Erfinden einer Lebensgeschichte bewältigen konnte, deren Wahrheit kaum erträglich ist. Geradlinig wird hier von furchtbaren Geschehnissen erzählt - aber auch von der Kraft, die Menschen aufbringen, um sie zu bewältigen: "Das einzig wirksame Heilmittel gegen die Verzweiflung ist die Hoffnung." *STUBE* Der kaukasische Ich-Erzähler Koumaïl berichtet retrospektiv von seiner Kindheit auf der Flucht: Jahre ohne festen Wohnsitz, ohne feste Bindungen. Die einzige Konstante ist Gloria, eine warmherzige und tatkräftige Frau, die ihm immer wieder erzählt, wie sie ihn nach einem Zugunglück als Baby zu sich genommen hat. Ihn und seinen französischen Pass, der auf den klingenden Namen Blaise Fortune lautet und ihm die Aufnahme im sicheren Frankreich garantieren soll, möglicherweise sogar gemeinsam mit seiner leiblichen Mutter. Ein Leben auf der Flucht birgt viele Gefahren, doch Gloria meint, der schrecklichste Schmarotzer von allen sei die Verzweiflung: "Wenn du nichts dagegen unternimmst, frisst er deine Seele auf, bis nichts mehr übrig ist. Das macht mir Sorgen. Woran merkt man, dass man von Verzweiflung befallen ist, wenn man sie nicht einmal sehen kann?" Solange Gloria in seiner Nähe ist, widersteht Koumaïl der Verzweiflung. Doch umso größer ist seine Mutlosigkeit, als sie getrennt werden und er mit zwölf Jahren allein, als unbegleiteter minderjähriger Flüchtling, in Frankreich ankommt. Acht Jahre später, endlich französischer Staatsbürger, gelingt es ihm, die schwerkranke Gloria in einem Spital in Tiflis wiederzufinden. Kurz vor ihrem Tod erzählt sie ihm ein weiteres Mal seine Geschichte diesmal eine neue (wahre) Fassung. In diesem herzzerreißenden Ende wird deutlich, wie sie ihr Leben bewältigen konnte: durch das Neu-Erzählen einer Lebensgeschichte, deren Wahrheit kaum erträglich ist. *STUBE* -Lektorix- Schlagzeilen wie diese sind längst zum medialen Alltag geworden: "300 Flüchtlinge vor Lampedusa auf Grund gelaufen." Sie lassen aber oft vergessen, was es konkret heißt, auf der Flucht zu sein in vielen Regionen der Welt, wie über die bekannte Route von Afrika nach Europa hinaus. In ihrem Jugendroman berichtet die französische Autorin Anne-Laure Bondoux von einer Region, die in ihrer Komplexität selten in unseren Medien vorkommt, dem Kaukasus. Seit dem Ende der Sowjetunion kam es dort zu einer Vielzahl an bewaffneten Konflikten. Der Ich-Erzähler Koumaïl erzählt retrospektiv von seiner Kindheit auf der Flucht: Jahre ohne festen Wohnsitz, ohne feste Bindungen. Die einzige Konstante ist Gloria, eine warmherzige und tatkräftige Frau, die ihm immer wieder erzählt, wie sie ihn nach einem Zugunglück als Baby zu sich genommen hat, ihn und seine französischen Pass, der auf den klingenden Namen Blaise Fortune lautet und ihm die Aufnahme im sicheren Frankreich garantieren soll, möglicherweise sogar gemeinsam mit seiner leiblichen Mutter. Ein Leben auf der Flucht birgt viele Gefahren, doch Gloria meint, der schrecklichste Schmarotzer von allen sei die Verzweiflung: "Wenn du nichts dagegen unternimmst, frisst er deine Seele auf, bis nichts mehr übrig ist. Das macht mir Sorgen. Woran merkt man, dass man von Verzweiflung befallen ist, wenn man sie nicht einmal sehen kann?" Solange Gloria in seiner Nähe ist, widersteht Koumaïl der Verzweiflung. Doch umso größer ist seine Mutlosigkeit, als sie getrennt werden und er mit zwölf Jahren allein, unbegleiteter minderjähriger Flüchtling, in Frankreich ankommt. Acht Jahre später, endlich französischer Staatsbürger, gelingt es ihm, die schwerkranke Gloria in einem Spital in Tiflis wiederzufinden. Kurz vor ihrem Tod erzählt sie ihm ein weiteres Mal seine Geschichte eine neue Fassung. In diesem herzzerreißenden Ende wird deutlich, wie sie ihr Leben bewältigen konnte: durch das Neu-Erzählen einer Lebensgeschichte, deren Wahrheit kaum erträglich ist. Die französische Webseite zum Buch bietet zahlreiche Materialien und Verweise zu den realen Hintergründne, auf deren Basis die Autorin ihren Roman aufbau. Ungeschönt wird erzählt, wie furchtbar eine Kindheit auf der Flucht ist aber auch von der Kraft, die Mensch immer wieder aufbringen: "Das einzige wirksame Heilmittel gegen die Verzweiflung ist die Hoffnung", sagt Gloria. *STUBE* Kathrin Wexberg Religion im Kinderbuch Der 28. Dezember gilt als Tag der unschuldigen Kinder. Im Jahr 505 erstmals in einem nordafrikanischen Kalender erwähnt, erinnert er an den Kindermord in Betlehem, als auf Geheiß von König Herodes alle neugeborenen Kinder umgebracht werden in der Hoffnung, der verheißene König der Juden sei unter ihnen. Die französische Autorin stellt ihren kindlichen Protagonisten mitten hinein in diesen Kontext der unschuldigen Kinder, die verstrickt sind in die historische Schuld ihres Landes: Am 28. Dezember des Jahres 1985 wird ihr Ich-Erzähler auf einer Obstplantage in Abchasien geboren. Doch erst am Ende des Romans wird die wahre Biografie des Jungen und mit ihr dieses Geburtsdatum offen gelegt. Eröffnet wird der Roman hingegen mit den Worten: Ich heiße Blaise Fortune und ich bin Bürger der Französischen Republik. Das ist die reine Wahrheit. Die Macht des Schicksals ist es also, die den Lebensweg von Blaise Fortune prägt: Immer und immer wieder lässt er sich von Gloria jene Geschichte erzählen, die von einem Zugunglück im Kaukasus handelt, von einer schwer verletzten französischen Frau, die Gloria ihr Baby anvertraut. Unbeirrbar wird die Fabel dieser Vergangenheit als Investition in die Zukunft ausgedeutet: Blaise Fortune soll zurück nach Frankreich, in das Land der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit weg aus dem Kaukasus, jener nach dem Zerfall der Sowjetunion instabilen und in sich zerfallenden Region, die unter den Folgen von Befreiungs- und Bürgerkrieg(en) leidet. Hinter der wundersamen Geschichte seiner Rettung aus dem verunglückten Zug jedoch verbirgt sich das Geheimnis um die Herkunft von Blaise Fortune. Dem entsprechend erzählt Anne-Laure Bondoux parallel zum Fluchtweg durch den Kaukasus und in der Folge vom Kaukasus nach Frankreich die Geschichte einer Identitätssuche. Blaise Fortunes älteste Erinnerung (sie wird auch an den Beginn des Romans gestellt) reicht zurück ins Jahr 1992, als Gloria und er gemeinsam mit anderen Flüchtlingsfamilien im Großen Haus leben, schon bald aber von den Wirren der Ereignisse in Georgien und dessen Teilrepublik Abchasien weitergetrieben werden, um letztlich so Glorias Plan von der Hafenstadt Suchumi aus nach Frankreich zu gelangen. An jede ihrer Stationen wird ein wie leichthin geknüpftes Geflecht an Figurengebunden, die Blaise Fortunes kindlichen Erkenntnisprozess in den Kontext von Geschichten und Schicksale vor ganz unterschiedlichem kulturellen Hintergrund stellen. Trotz dem Schrecken, den viele dieser Lebensgeschichten bergen, und trotz dem stets aufs Neue relevanten Trennungsschmerz, gerät Blaise Fortunes hoffnungsvoller Blick auf die Welt niemals ins Wanken zu tief hat Gloria diese Überzeugung in seine Seele versenkt. Daher wird auch der Erzählton der Geschichte von diesem hoffnungsvollen Blick geprägt, wenn Blaise Fortune seine Erinnerungen und Erlebnisse schildert. Er wächst auf unter dem Namen Koumaïl; Fatima, deren Vater im Osten des Kaukasus von Milizeinheiten getötet wurde, erklärt ihm dessen Bedeutung: allumfassend. Und genau darin liegt der Zauber der von Anne-Laure Bondoux in den Mittelpunkt ihres Erzählens gesetzten Figur: Koumaïl selbst ist gleichermaßen das Geheimnis und das Wunder dieser Geschichte, die in reduzierten poetischen Bildern Leiden schildert und doch nie als letztgültig stehen lässt. Obwohl retrospektiv erzählt wird, macht der Roman das Erleben seines Ich-Erzählers in dessen emotionaler Dimension präsent und transferiert dabei Gottes unergründliche Wege in politisch brisantes Geschehen. Lyrisch und humorvoll verwendet (und seelenvoll ins Deutsche übertragen) dient Sprache dabei als identitätsstiftendes Moment; insbesondere dann, wenn Koumaïl von Gloria auf eine hoffnungsvolle Zukunft in Frankreich eingeschworen wird. Ihre kleinen Rituale geben ihm auch dann noch Zuversicht, als er (bereits von Gloria getrennt) den mühseligen Prozess der Immigration durchlaufen muss. Entspricht so muss dabei gefragt werden Frankreichs Asylrecht noch den Idealen der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit? (Trotz Abweichungen zum deutschen oder österreichischen Asylrecht dürfen/müssen diese Fragen als Grundsatzfragen zum Asyl- und Menschenrechtsverständnis der EU und vieler ihrer mit Nationalismus und Rechtspopulistisch kämpfenden Mitgliedsstaaten gesehen werden.) Dennoch geht es Anne-Laure Bondoux nie um die ideologische Wertung der Ereignisse; vielmehr stellt sie die Frage nach moralischen Überzeugungen aus unterschiedlichen Perspektiven und damit immer wieder neu. Dem entspricht auch die Tatsache, dass am Ende Koumaïls Geschichte noch einmal und unter ganz anderen Voraussetzungen erzählt werden muss. Gerade in seinen Auslassungen liegt die erzählerische Stärke des Romans, der Hoffnung profiliert der Menschenverachtung und Verzweiflung entgegen setzt und damit durchaus den Charakter eines Hymnus erhält. So wie die literarische Balance zwischen dem real erlebten Leid und dem Traum von einer besseren Zukunft gehalten wird, verklingt auch dort, wo Unheil und Schuld Koumaïls Geschichte prägen, nie der Hochgesang von der Herrlichkeit eines Lebens, das auf Liebe gründet. Gloria ist es, die diesen Hochgesang nicht nur angestimmt, sondern verkörpert hat. Am Ende des Romans findet Koumaïl, der nun Bürger der Französischen Republik ist und Blaise Fortune heißt, sie in einem Krankenhaus in Tiflis wieder. Und erst mit dieser Rückkehr ist ihm der eigentliche Neubeginn möglich. Gibt es einen Unterschied zwischen dem Erzählen einer Lüge und dem Erfinden einer Geschichte, fragt Koumaïl (der jetzt ganz offiziell Blaise Fortune heißt) sich? Zu einem Zeitpunkt, da die Lüge sein Leben gerettet und er doch zu seiner eigenen Geschichte gefunden hat. Denn die Wahrheit ist eine Tochter der Zeit (der Wunder). *STUBE* Heidi Lexe


Rezension


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Personen: Vogel, Maja von Bondoux, Anne-Laure

Bondoux, Anne-Laure:
¬Die¬ Zeit der Wunder / Anne-Laure Bondoux. Aus dem Franz. von Maja von Vogel. - Hamburg : Carlsen, 2011. - 188 S.
ISBN 978-3-551-58241-6

Zugangsnummer: 2853
Jugend 10-14 - Signatur: JE.2 Bond - Buch