Ostermaier, Albert
Seine Zeit zu sterben ; Roman
Buch: Romane, Erzähl

"Kitzbühel ist wie Kalifornien, alle warten auf die große Welle." (147) Damit eine Stadt in ihren eigenen Mythos verfallen kann, braucht es Romane darüber. Kitzbühel hat es geschafft, in letzter Zeit schießen die Glitzerromane nur so die Streif herunter. Einen gewaltigen Kitzbühel-Roman legt Albert Ostermaier hin. Rund um den Zirkus der geilen Streif versammeln sich allerhand People, die sonst das Jahr über auf den Adabei- und Gerichts-Seiten ihre Heimat haben. Nicht nur die Sportwelt geht an diesem Hahnenkamm-Wochenende an ihre ihre Grenzen, alles, was üblicherweise zu einem Konflikt fähig ist, gerät entweder in Rage oder Ekstase. Ein geächteter Außenseiter macht sich an einen Pater heran und beichtet sich ihm unter die Kutte hinein. Ein ausrangierter Rennfahrer will es noch einmal wissen und stürzt sich nach dem eigentlichen Rennen die Streif hinunter und ins Koma. Eine Polizistin darf an diesem Wochenende endlich wie in der berühmten Soap-Opera Soko-Kitzbühel auftreten. Ein Anwalt, spezialisiert auf schräge Oligarchengeschäfte, bereitet den Coup seines Lebens vor. Und ein stilistisch hochfrisiertes aber emotional niedrig gehaltenes Ehepaar geht sich noch einmal ein Wochenende lang auf die Socken, ehe es das gemeinsame Kind verliert. Mindestens so dramatisch wie diese Handlungsstränge ineinander greifen, formiert sich in den Köpfen der Protagonisten auch eine Lust, das Extreme mit beiden Händen zu fassen, und wo das haptisch nicht gelingt, muss eben eine bis zum Zerreißen geforderte Sprache aushelfen. Am ehesten lässt sich diese Sprachorgie mit Josef Winkler vergleichen, wenn er in Kruzifix-Form das klerikale Dorf zerlegt. Albert Ostermeier zerlegt den Glitzer-Sound Kitzbühels mit Extremen. Werbeprospekte werden ins Hysterische beschleunigt, Small-Talk liefert gleich die Blasen mit, die semantisch gemeint sind, selbst die Namen sind Kalauer, die ungeniert aus einem Comics entsprungen sind. Das Schicksal des Hauptdarstellers kommt nur sporadisch zum Vorschein. Das Kind Igor verschwindet durch ein Missverständnis während des Schikurses und taucht dann als ungewolltes Happyend wieder auf. In Wirklichkeit geht Igor niemandem ab, weil er als Kind wie ein Accessoire umgehängt oder wie ein Hund auf irgend einem Fernseh-Schoß gehalten wird. In inneren Mini-Monologe erzählt der Junge manchmal, wie ihn alles noch mehr ankotzt, als Erwachsene die Welt ankotzen könnte. Natürlich wird in diesem eruptiven Sprach-Thriller die Glitzerwelt Kitzbühel abmontiert, aber im kunstvollen Sprachkosmos Albert Ostermaiers glitzert auch die frei gelegte Scheiße noch wie Kitzbühel. Helmuth Schönauer


Dieses Medium ist verfügbar. Es kann vorgemerkt oder direkt vor Ort ausgeliehen werden.

Personen: Ostermaier, Albert

DR Ost

Ostermaier, Albert:
Seine Zeit zu sterben : ; Roman / Albert Ostermaier. - Frankfurt am Main : Suhrkamp, 2013. - 305 S.
ISBN 978-3-518-42382-0 fest geb. : ca. EUR 18,90

Zugangsnummer: 0003261001 - Barcode: 2-0000000-8-41070635-6
Romane, Erzählungen und Novellen - Buch: Romane, Erzähl