Sander, Hans-Joachim
Einführung in die Gotteslehre
Buch

Wissenschaftliche Einführungen haben ihren eigenen Charme. Sie präsentieren in der Regel längst bekannte methodische Fragestellungen und inhaltliche Schwerpunkte. Neues ist von Ihnen meist nicht zu erwarten. Wer die "Einführung in die Gotteslehre" von Hans-Joachim Sander unter diesen Vorzeichen liest, ob Lehrender, Lernender oder bereits in der Pastoral Tätiger, erhält keine der sonst üblichen dogmatischen Einführungen. Sanders Gotteslehre ist vielmehr eine Einführung in eine neue Diskursformation der Theologie, welche die Gehalte des Glaubens nicht vom selbstverständlichen Innen der Kirche als Glaubensgemeinschaft, sondern von ihrem herausfordernden Außen her bestimmt. Sander führt demzufolge keinen identitätslogischen, sondern einen differenzlogischen Gottesdiskurs, den er methodisch im I. Kapitel "Die Rede von Gott - ein abduktiver Prozess aus machtvollen Differenzen" begründet. Wer Gott ist, kann nur von den vielfältigen Orten her bestimmt werden, an denen über ihn gesprochen wird. Solche Orte sind selbst differenzlogisch von einer Innen-Außen-Struktur gekennzeichnet. Sander macht damit die pastorale Problematik, Glauben im pluralen Kontext einer säkularisierten Welt zu verkünden, zur Frage der Dogmatik selbst. Theologiegeschichtlich greift Sander auf die Lehre der Loci Theologici des Melchior Cano zurück, die nach der wissens- und handlungsmäßigen Autorität des Glaubens fragt. "Die loci-basierte Theologie zeigt an: Die Autorität eines Glaubens liegt nicht schon im Glaubensakt selbst begründet, sondern gründet nicht zuletzt auf der Fähigkeit, sich Konfrontationen von außen auszusetzen und darin sprachlich zu bestehen. Für diese Autorität sind drei Dinge nötig: ein hinreichendes Maß an Wissen, ein realistisches Urteil und der Mut zu den nötigen Aktionen." (40) In drei Durchgängen wird dieses methodische Konzept an den Begriffspaaren Religionen und Gott, Philosophien und Dogma, Politiken und Mystik durchgeführt. Im II. Kapitel "Die Differenz von Religionen mit Gott - die Zumutung der Schrift an die Existenz" werden zentrale biblische Themen wie Schöpfung, Eschatologie, Bund, Erwählung und Offenbarung vor diesem Hintergrund diskursiv neu ins Spiel gebracht. "Man kann Gott in der Bibel deshalb nicht als einen Wortkomplex begreifen, vielmehr vollzieht sich in der Bibel jener Sprachprozess, der im Namen Gottes Anschauungen hinter sich lässt, die selbstverständliche religiöse Geltung beanspruchen. Der Wohnort Gottes findet sich in den Abduktionskonstellationen der biblischen Texte, die einen umfassenden Anspruch erheben, Zumutungen für religiöse Überzeugungen freisetzen und Umkehrvorgänge in Glauben, Denken und Handeln beinhalten." (42) Die Weiterführung dieser Fragestellung im Blick auf die philosophisch-theologischen Entwicklungen innerhalb des Christentums unternimmt Sander im III. Kapitel "Die Differenz von Philosophien zu Gott - die Abenteuer des Dogmas in der Sprache", das die Fragen von Trinität, Kreuz, Allmacht und Beweisbarkeit Gottes aufgreift. "Die entscheidenden Dogmen über Gott geben dem Glauben eine Ortsbestimmung in der Differenz zwischen philosophischen Fragestellungen und theologischen Sprachlosigkeiten; sie setzen zugleich diesen neuen Ort weiteren Abduktionen aus, die durch Philosophien angeregt werden. Die Topologie der Dogmen lässt sich daher nur in Nähe zum philosophischen Wissen und in Distanz von philosophischen Einsichten erarbeiten." (74) Theologie konstituiert sich nicht nur in und aus der Differenz zur Religion, zur Philosophie, sondern auch aus der Differenz zur Politik. Dem geht das IV. Kapitel "Die Differenz von Politiken und Gott - die Risiken der Mystik mit der Macht" nach. Behandelt werden die Bereiche Opfer, Gericht, Menschenrechte, Armut und Shoah. "Wer von Gott reden will, wird entsprechend unweigerlich in eine Machtkonstellation mit der Politik hineingezogen; sie ist der Gottesrede zugemutet und sie darf darin nicht untergehen." (124) Gerade dieses letzte Kapitel zeigt deutlich, dass Sanders "Gotteslehre" sich aus der Nähe zur negativen Theologie speist, ohne den Anspruch einer positiven Theologie aufzugeben. Diese Spannung gehört zu den Differenzkonstellationen, die das Charakteristische einer heutigen Rede von Gott kennzeichnen. In beeindruckender Souveränität gelingt es Sander, diachron die alten Antworten der christlichen Gottesrede synchron mit den zeitgenössischen Problemstellungen diskursiv ins Spiel zu bringen. Die Kunstfertigkeit seiner sprachlicher Formulierungen ist beeindruckend. Sander führt zwar frühere Fragen wie die von Macht und Ohnmacht weiter, wiederholt sie jedoch nicht einfach, sondern strukturiert sie neu etwa mit dem Begriffspaar Wo- und Wer-Identifizierung Gottes. Die Frage nach dem "Wo" Gottes könnte neue Sprachräume eröffnen gerade für die Gottesrede in pastoral schwieriger Zeit. Der essayistische Charakter dieser Gotteslehre eignet sich trotz mancher philosophisch-theologischer Höhenflüge hierfür bestens.


Dieses Medium kann nicht entliehen werden.

Personen: Sander, Hans-Joachim

Standort: Präsenzbestand

Interessenkreis: Religion

Sander, Hans-Joachim:
Einführung in die Gotteslehre / Hans-Joachim Sander. - Darmstadt : Wiss. Buchges., 2006. - 176 S.
ISBN 978-3-534-16586-5 kart. : ca. € 15,40

Zugangsnummer: 2016/0172 - Barcode: 62016001722
Biologiebuch Erwachsene - Signatur: S Sande - Buch