Weidenholzer, Anna
Der Winter tut den Fischen gut Roman
Buch

Wo es regnet und die Sonne scheint Anna Weidenholzers kluger Roman "Der Winter tut den Fischen gut" Herrenjahre" - so hieß Gernot Wolfgrubers epochemachender Roman von 1976. Er bildete gemeinsam mit Franz Innerhofers 1974 erschienenem Roman "Schöne Tage" eine fixe Bezugsgröße der sozialkritischen Literatur der Nach-68er-Ära. Diese fand 1988 ihr Ende mit dem Erscheinen von Christoph Ransmayrs Roman "Die letzte Welt", der in der deutschsprachigen Literatur einen ähnlichen Paradigmenwechsel einleitete wie ein Jahr später der Fall der Mauer in der Politik. Wir schreiben das Jahr Zwanzig­zwölf. Unendlich lange zwei Jahrzehnte sind seither vergangen. Weder literarisch noch politisch ist die Welt heute dieselbe wie - sagen wir - 1984. Das ist nun in mancherlei Hinsicht eine literarische Jahreszahl. Nicht nur wegen George Orwell, sondern auch, weil in diesem Jahr ein Stern in die literarische Galaxis eintrat, der der österreichischen Literatur anno 2012 einen neuen Spin verpasst. Anna Weidenholzer heißt die in Linz geborene Autorin - und das klingt fast schon wie ein Name aus ihrem Debütroman "Der Winter tut den Fischen gut". Maria, Martha, Otto, Walter und ähnliche der Zeit enthobene Namen finden sich darin, nicht etwa Zoë oder Silke oder Charlotte. Anders als in der Ewigkeit sind Namen in der Literatur keineswegs Schall und Rauch. Maria hieß etwa die Frau von Wolfgrubers Protagonist Bruno Melzer. Es scheint, als wollte Anna Weidenholzer bewusst daran anknüpfen, wenn sie ihre Hauptfigur Maria nennt. Aus den "Herrenjahren" sind somit "Damenjahre" geworden. Ebenso wie jene sind aber auch diese endlose Lehrjahre. Denn Maria Beerenberger geht es heute kaum besser als vordem Bruno Melzer. Schon im Prolog malt sich die 48-jährige arbeitslose Textilfachverkäuferin ihr nächstes Job-Bewerbungsgespräch aus, und was sie dabei anders machen möchte als in den vorangegangenen Gesprächen der vergangenen eineinhalb Jahre. Tatsächlich erhöht das ihre Chancen, eine Stelle in dem Bereich zu finden, in dem sie sich auskennt und für den sie eine Leidenschaft mitbringt, nur marginal. Dass sie verschiedene Stoffe auf einen Blick zu unterscheiden weiß, dass sie jeder Kundin sofort sagen kann, was ihr steht und was nicht, dass sie von jedem Kleidungsstück die Temperatur kennt, mit der es gewaschen werden darf: das verbessert ihre Lage auf dem Arbeitsmarkt nicht. Als sie auch noch einen Termin platzen lässt, weil sie zwar zu vielem bereit ist, aber partout keine Wurstverkäuferin werden will, streicht ihr das Amt das Arbeitslosengeld für sechs Wochen. Mit wenigen, aber präzisen Strichen skizziert die Autorin die Gegenwart ihrer Hauptfigur. Die unterscheidet sich von den literarischen Figuren der sozialkritischen Literatur der siebziger Jahre in der Hauptsache dadurch, dass sie eine Frau ist. In den sozialen Gegebenheiten gibt es eine erstaunliche Kontinuität. Nicht nur Marias Name, auch die "Verhältnisse" sind immer noch so und wirken deshalb heute seltsam aus der Zeit gefallen. Abgesehen davon, dass sich die Zumutbarkeitsbestimmungen für Arbeitslose inzwischen verschärft haben, könnte diese Szenerie genauso in den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts spielen. Gegenüber den bei Literaturjurys heute so beliebten Romanen, die die schweren Schicksale wohlstandsverwahrloster Jugendlicher in der deutschen Provinz beschreiben, nimmt sich eine entlassene alternde Verkäuferin aus dem Alpenland doch recht altmodisch aus. Hat sich also nichts geändert? Oh ja: Maria wird zum Beispiel von ihrer Bankberaterin angerufen und befragt, wie zufrieden sie mit den Leistungen der Bank ist. Dass Maria diese mangels Geld gar nicht in Anspruch nehmen kann, charakterisiert den Zynismus der heutigen Zeit. Das soziale Setting hat sich also wenig geändert. Was anders geworden ist, ist die Art und Weise, darüber zu schreiben. War im vorigen Jahrhundert die Anklage die adäquate Antwort auf Ausbeutung und Arbeitslosigkeit, so hat sich heute alles anonymisiert. Niemand hat schuld am Schicksal Marias, sie selbst nicht, auch nicht die Gesellschaft oder bestimmte Menschen, die ihr übel wollen. Auch Herr Willert, Marias Arbeitgeber, der sie kündigt, ist kein böser Kapitalist, dem es nur um Gewinnmaximierung geht, sondern selbst ein Getriebener von nicht greifbaren Mächten. Der Sieg des Bösen besteht darin, nicht mehr namhaft gemacht werden zu können. Mit der Anonymisierung der Schuldfrage erklärt die kluge Autorin indirekt den starken Drang zur Personalisierung in der Politik. Es ist die (ebenso verständliche wie vergebliche) Sehnsucht der Menschen, in Zeiten, in denen niemand verantwortlich und in denen alles Tun angeblich alternativlos ist, jemanden haftbar zu machen für ihr Schicksal. Solchen Hoffnungen erteilt Anna Weidenholzer durch die Konstruktion ihres Romans jedoch eine Absage. Dessen Clou ist nämlich, dass er rückwärts erzählt wird. Das ist natürlich ein bekanntes literarisches Verfahren. Doch so wie die Autorin es hier anwendet, wirkt es durchaus neu. Mit der Methode des Rückwärtserzählens lässt sie den Leser unmittelbar Anteil haben an der Form eines Bewerbungsgesprächs beziehungsweise an den Interviews, die sie zur Recherche für diesen Roman mit arbeitslosen Frauen geführt hat. In beiden Fällen sitzt ein Interviewer erst einmal einem ihm unbekannten und mehr oder weniger sympathischen Menschen gegenüber, von dem er nur weiß, dass er zurzeit beschäftigungslos ist. Über die Gründe dafür und die lebensgeschichtliche Entwicklung dieses solcherart stigmatisierten Menschen erfährt er - so er will - im Verlauf des Gesprächs. Nach und nach erschließt sich die Biografie eines Menschen. Auf diese Weise rollt Weidenholzer die Geschichte der Maria Beerenberger in prägnanten Szenen auf bis hin zum Zeitpunkt der Geburt ihrer Schwester. Da kann Maria gerade einmal lesen und liest auf einer Karte ihres Onkels: "Ich bin immer noch hier, wo es regnet und manchmal die Sonne scheint." Besser hätte sie den Verlauf ihres Lebens nicht zusammenfassen können. Und so endet das Buch mit dem Anfang: mit der Wiederkehr des Immergleichen. Man muss sich Sisyphos eben als einen glücklichen Menschen vorstellen. Wer aber das Glück des Absurden nicht zu empfinden vermag, der sucht es in irrationalen Heilslehren. Auch das zeigt Weidenholzer an einem der vielen stimmigen Details dieses Romans. Wenn Veronika, Marias Freundin, ihr erklärt, "das Leben gibt einem Prüfungen auf, und wenn man diese Prüfungen besteht, tritt man in eine neue Dimension ein", dann erinnert das sehr an die Heilsversprechen der "Scientology Church". Man müsse nur richtig wünschen lernen, so Veronika, denn "wenn du etwas wirklich möchtest, bekommst du es". Es gelte nur, die richtigen Fragen an das Universum zu stellen. Wie bestelle ich richtig beim Universum, fragt sich Maria, denn Veronika erzählt natürlich nicht konkret, welche Prüfungen sie wie bestanden hätte. Und bedauerlicherweise ist das Universum ein wenig begriffsstutzig und versteht deshalb Negationen nicht. Sollten die Bestellungen also nicht einlangen, liegt es an der Form der Bestellung, also am Besteller selbst, dass es nicht geklappt hat. Und Sisyphos rollt wieder. Nichts hat sich geändert, sagt an einer Stelle Marias Betreuerin beim Arbeitsamt. "Alles beginnt von vorn, am Ende der Anfang, das Ende, der Anfang, man kann es sehen, wie man möchte", denkt Maria und legt damit das poetologische Programm Anna Weidenholzers offen. Denn in dieser Kreisbewegung zeigt sich doch ein entscheidender Unterschied zur so­zialkritischen Literatur des vorigen Jahrhunderts. Es geht nicht mehr (nur) vorwärts. Die (beengten und beengenden) Verhältnisse sind kein Anlass mehr, mit einem gewissen Pathos zum Auf- und Ausbruch aufzurufen. Maria will nicht kaputtmachen, was sie kaputtmacht, sondern möglichst fit für das System werden. Die permanente Selbstoptimierung ("Machen Sie konsequent, systematisch, parallel, schnell und viel") erweist sich allerdings erst recht als Laufrad, auf das mit Unvernunft (Wünschen an das Universum) reagiert wird. Wo aber alles (scheinbar) durchrationalisiert ist, wächst das Irrationale auch - und zwar exponentiell. Weidenholzer macht also Mechanismen deutlich, nicht Verhältnisse. Die Chancen auf Verbesserung der Lebensverhältnisse haben sich für Menschen mit Marias Biografie so gut wie nicht verändert, aber das Lebensgefühl. Dieses heutige Gefühl der Unveränderlichkeit und damit Zeitlosigkeit drückt die verschmitzte und gewitzte österreichische Autorin nicht nur in der Romankonstruktion aus, sondern auch dadurch, dass sie sämtliche Accessoires der Jetztzeit weglässt, das Geschehen auf das Wesentliche reduziert und auf jegliche Modewörter verzichtet. Auf diese Weise belebt und erneuert Anna Weidenholzer mit ihrem Debütroman die Tradition der sozialkritischen Literatur. *Literatur und Kritik* Harald Klauhs


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Personen: Weidenholzer, Anna

Weidenholzer, Anna:
¬Der¬ Winter tut den Fischen gut : Roman / Anna Weidenholzer. - St. Pölten : Residenz-Verl., 2012. - 237 S.
ISBN 978-3-7017-1583-1 fest geb. : ca. Eur 21,90

Zugangsnummer: 2014/0073 - Barcode: 222100060757
Schöne Literatur - Signatur: Weide - Buch