Franzobel
Die Eroberung Amerikas
Buch

Die Eroberung des historischen Romans Franzobel verpasst dem Genre neue Dimensionen Mit Das Floß der Medusa hat der österreichische Schriftsteller Franzobel (Franz Stefan Griebl), Bachmann-Preisträger von 1995, den historischen Roman für sich entdeckt. Die Eroberung Amerikas setzt diese Richtung fort, ist aber ebenso wenig wie sein Vorgänger ein »einzigartiges Experiment« (wie die FAZ 2017 titelte). Richtig: Franzobel ist weniger bildungsbürgerlich als Daniel Kehlmann (Tyll), weniger komplex als Lawrence Norfolk (Lemprières Wörterbuch), weniger intertextuell als Umberto Eco (Der Name der Rose), weniger brillant als Hilary Mantel (Cromwell-Trilogie) und so weiter. Was sein Experiment noch lange nicht einzigartig macht. Schon allein, weil er es, wie die meisten seiner Kollegen, wiederholt. Dann: Wie sie alle hat auch Franzobel großen Recherche-Aufwand betrieben, reiste seinem Roman-Helden bzw. dessen historischem Vorbild Hernando de Soto hinterher, vom Geburtsort in der Konquistadoren-Provinz Extremadura über die Konquistadoren-Kolonien Mexiko, Peru, Kuba nach Florida, und ackerte jede Menge Sekundär-Literarisches durch, um dem fernen Artgenossen nahezukommen. Außerdem – und das scheint jetzt ein Franzobel’sches Unicum – eignete er sich irgendwie sogar historische Idiome an: »– We inanzn?« prononciert der unterbissige Habsburger-Kaiser Karl V., der Deutsch angeblich nur zu seinem Pferd sprach. »– Und wer soll das finanzieren?« Man befindet sich mit Ferdinand Desoto in Audienz zu Valladolid. Heinrich von Nassau-Breda, der engste Vertraute des Kaisers, übersetzt Karls angeblich schlechtes Spanisch. Es geht um Desotos Ansinnen, ein neues Reich in Übersee zu erobern: »– Seien Eure Exzellenz versichert, dass ich weder verrückt noch unbesonnen bin. Ich bringe den Wilden die Lehre unserer heiligen Kirche, und ich mache sie Untertanen Ihrer königlichen katholischen Majestät.« »Heiligs Blechle!« möchte man mit einem gewissen Wilhelm Friedrich Erasmus Müggenpflug einwerfen, was noch heute als Schwäbisch durchgeht. Der Kontext: Desotos Expedition aus 800 Mann (einer davon ist dieser Müggenpflug), einer Frau, 300 Pferden, Doggen, Ziegen und Schweinen hat eben die Mokosso (deren Häuptling angeblich die Mokassins erfand) verlassen und ist auf ein entseeltes Dorf gestoßen: »In einem Rundbau mit geschnitzten Riesentieren in unzüchtigen Stellungen waren mumifizierte Leichen und ein Regal mit Totenschädeln. Verschrumpelte Gestalten, denen die Kinnladen herunterhingen. Pergamentbraune, in grobes Leinen eingehüllte Gerippe.« Kulturschock für beide Seiten (denn die derart kultivierten Paracoxi sind längst vor den europäischen Eroberern getürmt). Heiligs Blechle! Indigene sprechen – um jetzt den verlorenen Faden wieder aufzunehmen –, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist: »– Karuba ka kamakana gschu.« Der Übersetzer übersetzt in ein Spanisch, das eigentlich wieder übersetzt gehörte: »Binspanier! Töt etnicht. Lasstleb, en.« Und irgendeiner sagt einmal: »Un poco sol por verwirr. Hanoi.« Vielleicht also doch auch ein Schuss Makkaronisch hier und dort. Jedenfalls: Was vor an die 200 Jahren den zu seiner Zeit populären Genre-Begründer Walter Scott umtrieb, treibt auch noch den heutigen Modernen um. Die exakt umrissenen Schauplätze, die historisch verorteten Personen und Handlungen – und zu fast allem und jedem muss es eine Quelle geben. Franzobel, das liegt auf der Hand, überspannt den trivial-historischen Erzählbogen gern. Hier sind es nicht Kartoffel und Tomate, die von der Neuen Welt über den großen Teich in die Alte kommen, sondern Kreationen des Expeditionskochs: Popcorn und Coca Cola. Außerdem und überhaupt: Auch Franzobel geht es wie seinen Kolleginnen darum, Historisches zu erinnern. Über die hier erzählte Historie, die 1492 einsetzte, sagte der Historiker Erik Hobsbawm 1992, also zum 500. Jubiläum: »Die Folgen der Entdeckungsfahrten des Kolumbus und seiner Nachfolger lassen sich nicht mehr rückgängig machen. Das Leid, das den amerikanischen Ureinwohnern und den verschleppten Afrikanern zugefügt wurde – ob durch vorsätzliches Handeln oder als unbeabsichtigte Folge der Eroberung und Ausbeutung –, ist unleugbar und kann im Rückblick nicht mehr abgewendet werden. Die Eroberung und Ausbeutung hatte katastrophale Auswirkungen auf diese Völker. Man kann die Geschichte nicht ungeschehen machen, sondern sie lediglich erinnern oder vergessen oder erfinden.« Genau das macht Franzobel: Er erinnert, vergisst natürlich auch und erfindet viel. Seinen Blick auf das Geschehen richtet er über einen Erzähler, der zwar kein Ich-Erzähler ist, aber Grimmelshausens Simplicissimus ähnelt: Nach Gutdünken schweift dieser Naivling mit seinen Figuren durch die Vergangenheit und ist, wie er diese so anachronistisch dahererzählt, nicht weniger demaskierend als sein barocker Ahne, der seinem Erzählten zeitlich wesentlich näherstand. »Während die Eroberer aßen, stand der ganze Stamm am Fluss. Die Missionare sangen Lieder und tauchten Köpfe ins Wasser. Es ging zu wie bei der Qualitätskontrolle einer Schwimmreifenfabrik. Gluck, gluck.« Ein andermal hetzt man flüchtenden Indigenen Doggen hinterher. »– Kein schöner Anblick, aber notwendig«, befindet Desoto. (Ein Schelm, wer an einen Nachfahren unserer Tage denkt, für den ganz im Geist Machiavellis Flüchtlingsfragen nicht ohne hässliche Bilder abgehen: Abschreckung, wusste schon Desoto.) Dass es bei all dem in dieser Geschichte um den erfolglosesten Konquistadoren der Geschichte geht, macht das Erzählte zur Groteske. Über viereinhalb Jahre streift man mit diesem Don Quijote umher (nachdem man über 200 Seiten Exposition hinter sich gebracht hat), immer auf der Suche nach einem unentdeckten Eldorado, »das ich Desotonien nennen werde, Desotoland, Desotopotanien« – was auch lesend hin und wieder etwas Zermürbendes hat. Die Landschaften gleichen jenen in Jim Jarmusch’ Down by Law, der kaputte Sound von Tom Waits-Songs durchweht die Seiten. Ferdinand Desoto ist ein eingebildeter Spinner in der Art von John Lurie. Ein Nebenbuhler, der ihm die eigene Frau abspenstig macht, ist sein Tom Waits und es tritt jede Menge Personal auf, das für eine Komik à la Roberto Benigni sorgt. Wie in Jamursch’ Film gibt es ein schönes Happy End (bei Franzobel mit »Happylog« überschrieben). Es ist die Utopie der Rahmenhandlung: Die Anwaltskanzlei Trutz Finkelstein und Partner in Person eines verkappten Juristen fordert zu Beginn des Romans von den USA die »Rückgabe der Vereinigten Staaten von Amerika an die Indianer«. Am Ende kriegt er das. Franzobel erzählt eben doch nicht schwarz-weiß wie Jarmusch. Sondern in Farbe.


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Franzobel:
¬Die¬ Eroberung Amerikas / Franzobel. - Wien : Paul Zsolnay Verlag, 2021. - 542 S.
ISBN 978-3-552-07227-5 fest geb. : EUR 26,00

Zugangsnummer: 2021/0177 - Barcode: 2-2071111-3-00009366-8
Schöne Literatur - Signatur: SL Fran - Buch