Böhmer, Wolfgang
Hesmats Flucht Eine wahre Geschichte aus Afghanistan
Buch

Die sorgfältig recherchierte wahre Geschichte des 11-jährigen afghanischen Jungen Hesmat und seiner abenteuerlichen flucht nach Europa


Rezension

Er ist 11 ½ Jahre alt und eher schmächtig. Seine gebildete, mehrsprachige Mutter - dem despotischen, Clan beherrschenden Großvater ein Dorn im Auge -stirbt ohne familiäre oder ärztliche Hilfe an Tuberkulose. Sein Vater, ursprünglich mit den russischen Besatzern "gut im Geschäftö, degradiert nach dem Abzug der Sowjets zum Schmuggler und Gelegenheitsgeschäftsmann. Eine marodierende, bewaffnete Bande bringt ihn in einem nächtlichen Massaker um, weil er angeblich einen Goldschatz besitzt und nicht verraten will, wo er ihn verborgen hat. Während Hasmet in einem geheimen Versteck im Keller überlebt, schauen Nachbarn und der "mächtigeö Großvater zu, wie sein Vater ermordet wird. Niemand greift ein bei einem Mord, der nie gesühnt wird. Die Taliban haben die Herrschaft übernommen und zwingen das Land in eine extrem religiös-politische Abhängigkeit. Auch Hesamt bekommt ihre Macht zu spüren, als er auf offener Straße gepackt und kahl geschoren wird. Als der Großvater-Patriarch ihm auch noch die Schule verwehren will ("Es reicht, den Koran zu studieren!ö), beschließt der Junge zu fliehen. Sein Ziel: über den Hindukusch, nach Moskau und von da nach London. Mit 7 000 Dollar (im Gürtel eingenäht), dem Erlös aus dem Verkauf des väterlichen Hauses und einigen guten Ratschlägen zieht er gen Norden. Hunger, Durst, Kälte und Angst sind seine ständigen Begleiter; Schlepper und Betrüger reduzieren seine finanziellen Mittel. Unterwegs trifft er auf Fahid, 16, einen fröhlichen Kumpan mit dem Ziel Frankreich. Gemeinsam gelangen sie nach Duschanbe in Tadschikistan, wo ein Onkel Fahids lebt. Das kinderlose Ehepaar würde Hasmet gerne adoptieren, doch die beiden Jungen wollen weiter - nach Moskau. Mehrmals werden sie an der Grenze geschnappt und ins Gefängnis geworfen. Fahid stirbt unterwegs in einem Zugversteck, aber Hasmet erreicht Moskau. Dubiose Schlepperbanden in Russland, der Ukraine und Ungarn erleichtern ihn um seine letzten Dollarreserven, doch er kommt in Österreich an - um feststellen zu müssen, dass ihn dort auch niemand will und die Gefahr besteht, nach Afghanistan zurück geschickt zu werden. Die Begegnung mit dem Autor rettet ihm das Bleiberecht und den Aufenthalt in einem SOS- Jugenddorf. Würde der Autor nicht präzise belegen, mit welcher Ausdauer, Sorgfalt und Präzision er Hesmats Erlebnisse recherchiert hat, man würde die Geschichte zwar für hochdramatisch und spannend, aber genial erfunden halten. Wolfgang Böhmer kann in zahlreichen Gesprächen, die sich über Jahre hinziehen, das Vertrauen des Jungen erwerben. Beim Erzählen lässt er den grausamen, traumatisierenden Ereignissen ihr Gewicht, ohne mit überdeutlichen Details reißerisch zu wirken. Hasmet hat sich inzwischen zwar im SOS Jugendwohnheim Telfs gut eingelebt und eine Elektrikerlehre mit Auszeichnung bestanden, doch nächtliche Alpträume werden ihn wohl noch lange heimsuchen. Ein Buch, das die Bedrohungen, Ängste und Schrecken von Gewalt, Krieg und Flucht in geradezu beispielhafter Weise belegt. Außerordentlich lesenswert und nachdrücklich empfohlen vorwiegend für Jungen ab ca. 14/15 Jahren. Sehr sinnvoll wären erläuternde Begleitung Erwachsener (Lehrer/Eltern) und Diskussionen.

Empfohlen (auch auszugsweise) in altersentsprechenden Schulklassen und Jugendgruppen.

Rezensent: Elfriede Kiefer

Personen: Böhmer, Wolfgang

Böhmer, Wolfgang:
Hesmats Flucht : Eine wahre Geschichte aus Afghanistan / Wolfgang Böhmer. - München : C. Bertelsmann, 2008. - 283 S. ; 19 cm. - (cbt ; 30549)
ISBN 978-3-570-30549-2 kt. : EUR 7.95

Zugangsnummer: 0002/5110
Buch