Zusammenleben mit an Demenz erkranktem Vater. Versöhnung und Abschied nehmen
Rezension
Nach dem plötzlichen Tod der Mutter sieht sich der Fotograf Phillip Toledano mit dem Alltag mit seinem hochbetagten demenzkranken Vater konfrontiert. Aus dem Zusammenleben der letzten Jahre ist ein Fotobuch entstanden, das tief berührt. Mit großer, doch nie peinlicher Offenheit fotografiert er seinen Vater und spricht in kurzen begleitenden Texten über seine Beziehung zu ihm und zur Mutter. Die ganzseitigen Bilder zeigen den Sohn als Künstler, der in einer Gratwanderung aus Professionalität und Emotionalität u.a. das Gesicht des Alten, seine spontanen Regungen, Momente der Trauer und Verzweiflung meisterhaft einzufangen versteht. In den kurzen, fast sachlichen Texten spiegelt sich auch das eigene Erleben, die Texte zeigen ihn ganz in seiner familiären Verbundenheit. So erzählt er, dass durch den Verlust des Kurzzeitgedächtnisses der Vater nach der Beerdigung der Mutter immer wieder nach seiner Frau fragt. Toledano greift schließlich zu einer "Notlüge" und sagt, sie sei in Paris. Rückblickend betrachtet er die "Jahre des Wartens" und des intensiven Zusammenlebens als Geschenk, das ihm die Gelegenheit gab, seinen Vater noch einmal neu zu sehen und sich auch mit wenig geliebten Seiten auszusöhnen. Das Buch ist ein überragendes Zeugnis einer tiefen Vater-Sohn-Beziehung, ein Tagebuch der Liebe und des Verständnisses. Die Bilder setzen Maßstäbe. Sie zeigen Alter und Demenz mit Wärme und Mitgefühl, aber auch Liebe und das Glück eines familiären Zusammenhalts. Auch Aufnahmen von Details des täglichen Lebens wie z.B. von Notizzetteln, auf denen der Vater mit wenigen Fragen ("Wo ist Helene?") seiner Suche nach Orientierung und dem Gefühl der Verlorenheit Ausdruck verleiht, gehen dem Betrachter nahe. Gleichzeitig kann er auch lachen, wenn Vater und Sohn sich über zwei auf der Brust platzierten Baisers amüsieren. Den Schluss erzählt eine eindrucksvolle Bilderfolge: ein unbenutztes Zahnputzglas, ein Selbstbildnis des zurückgebliebenen Trauernden, der leere Sessel und das neue Tageslicht hinter der zugezogenen Gardine. "Vater ist jetzt in Paris."
Trauernde Erwachsene, evtl. Jugendliche.Rezensent: Gabriele Kassenbrock
Personen: Toledano, Phillip
Toledano, Phillip:
Letzte Tage mit meinem Vater / Phillip Toledano. Dt. von Jutta Orth. - München : Knesebeck, 2010. - o. Pag. : überw. Ill. ; 16 cm
ISBN 978-3-86873-221-4 geb. : EUR 19.95
Lebenssituationen und Lebensfragen - Buch