Walter, Jon
Jenseits des Meeres
Buch: Belletristik

Die Geschichte einer Flucht, die sich überall ereignen könnte, schildert Jon Walter in seinem Roman „Jenseits des Meeres“. Vermutlich um allgemeingültig von Heimatverlust und der Suche nach einem Neuanfang zu erzählen, lässt der Autor Raum und Zeit im Ungewissen. Doch statt universelle Kraft zu entfalten, wirkt der Roman über weite Strecken eher vage. Walter gelingt es nicht durchgehend, den Mangel an Farbe auszugleichen, der durch den Verzicht auf die Schilderung einer konkreten Szenerie entsteht. Bereits der sehr breit angelegte Einstieg wirkt blass. Bis Malik und sein Großvater endlich in das Haus eingedrungen sind, in dem sie Unterschlupf für eine Nacht zu finden hoffen, muss man oft umblättern. Der Roman scheint mit holprig wirkenden Sätzen (für die vermutlich nicht die Übersetzerin verantwortlich ist) immer wieder zu stocken – vielleicht, weil Malik und sein Großpapa nicht wissen, ob und wie es für sie weitergeht? Nachdem Maliks Mutter verschwunden ist und der Großvater seinen Enkel aus einem Kleiderschrank gezogen hat, hoffen sie mit einem Schiff wegfahren zu können, das im Hafen vor Anker liegt. Aber der Andrang ist groß, und sie haben noch keine Fahrscheine. Scheinbar zu Hilfe kommen ihnen zwei weitere Männer, einer davon ein Bekannter des Großvaters, die ebenfalls Zuflucht im Haus suchen. Nachdem Großpapa ihnen verraten hat, dass ihm ein Zahnarzt einen Diamanten in einen Zahn eingesetzt hat, als „es mit den Banken dahinging und sie die Kredite nicht mehr bedienten“, sollen ihm die beiden Männer den Zahn mit einer Werkzeugzange ziehen, da vermutlich kein Zahnarzt aufzutreiben sein wird: „Die Welt ist aus den Fugen.“ Mit dem Geld aus dem Verkauf könnte Großpapa Fahrkarten für alle kaufen. Doch vorher muss er sich einer Tortur unterziehen, die der Autor so ausgiebig beschreibt, dass man schon allein durch die Lektüre traumatisiert wird, wenn man sich überhaupt dazu überwinden kann und die Seiten nicht überblättert. Ins Fließen gerät der Roman, als Malik es endlich an Bord des Schiffes geschafft hat, wenn auch ohne seinen Großvater. Denn die beiden Hobby- oder eigentlich Horror-Zahnärzte sind noch in der Nacht mit dem Diamanten verschwunden. Einen von ihnen trifft Malik allerdings auf dem Schiff wieder und gelangt wie durch ein Wunder auch wieder in den Besitz des Edelsteins. Das traurige Flüchtlingsdrama liest sich auch wegen anderer verwaister Jungen, mit denen Malik während der Überfahrt Freundschaft schließt, plötzlich wie ein flotter Abenteuerroman. Menschen, vor allem Kinder, die auf der Flucht sind, werden diese möglichweise tatsächlich einmal als bedrückende Tragödie, dann wieder als hoffnungsvolles Abenteuer erleben. Doch Jon Walter erzählt nicht überzeugend genug, um den Eindruck zu vermitteln, er habe diese unterschiedlichen Erlebnisformen mit einem uneinheitlichen Stil literarisch abbilden wollen. Viel eher wirkt sein Debüt ähnlich unsicher wie Europa angesichts der aktuellen Ereignisse an seinen Grenzen.


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Personen: Walter, Jon Tichy, Martina

Walter, Jon:
Jenseits des Meeres / Jon Walter. Aus dem Engl. von Martina Tichy. - Hamburg : Königskinder, 2015. - 314 S. Close to the Wind
ISBN 978-3-551-56017-9 fest geb. : ca. € 18,50

Zugangsnummer: 0008999001 - Barcode: 2000090470
Romane, Erzählungen und Novellen - Signatur: DR Walt - Buch: Belletristik