Gluck Wood, Angela
Holocaust was damals geschah
Buch K&J Sachbuch

Die sogenannte Holocaust-Education steht immer wieder vor der Herausforderung, wie die Grauen des Nationalsozialismus angemessen vermittelt werden können, ohne Verstörung auszulösen, aber auch ohne Verharmlosungen, Legitimierungen oder Verkürzungen. Das im Rahmen der Tätigkeit der von Steven Spielberg 1994 gegründeten „Shoa Foundation“ (mit ganzem Namen: „Survivors of the Shoah Visual History Foundation“) erarbeitete Buch „Holocaust“ bietet eine vielgestaltige und umfassende Annährung an den Völkermord an Juden und Jüdinnen. In sieben Kapiteln wird ein Bogen von der Geschichte der europäischen Juden, über die Genese und das Funktionieren des NS-Systems, die Ghettos, den eigentlichen Völkermord bis zum Kriegsende und den Nachwirkungen gespannt. Auch der wichtige Aspekt des Überlebenswillens und des Widerstandes der Verfolgten fehlt nicht, womit deren Reduzierung auf passive Opfer vermieden wird. Das Buch ist eine Art „Spin-off“ aus dem gigantischen Interview-Projekt der Shoa-Foundation, die an die 52.000 Überlebende der NS-Vernichtungspolitik je zwei Stunden interviewt hat. Die dem Buch beigelegte DVD bringt Ausschnitte aus 24 dieser Interviews, die derselben Gliederung wie das Buch folgen. Insofern kann das Buch als illustrierter Kommentar und gelungene Kontextualisierung zum Interview-Material verstanden werden. Tatsächlich gelingt es damit, die Schwächen eines rein Interview-orientierten Zugangs zu vermeiden: Aussagen werden historisch einordbar, Karten machen die Verschleppungen räumlich nachvollziehbar, Fotos zeigen Täter, Opfer und ZuseherInnen. Damit berührt dieses Buch wie viele Vorgängerprojekte die heikle Frage, wie denn mit dem Bildmaterial aus der Zeit des Nationalsozialismus umzugehen ist. Zum Teil werden (Propaganda-)Fotos der TäterInnen verwendet, damit wird deren Perspektive reproduziert. Bilder von Verbrechen wie etwa die doppelseitig abgedruckte Erschießung einer Familie auf S. 88f überschreiten eine Grenze: Hier wird die Opferdarstellung von Juden und Jüdinnen perpetuiert, während die Wahl des Motivs für das Cover eine solche direkte Viktimisierung vermeidet. Erinnert wird im Buch (S. 67) auch daran, dass es Versuche von jüdischen Fotografen gab, aus der eigenen Perspektive die Verbrechen zu dokumentieren. Die Herausgeber wollten oder konnten sich nicht entscheiden, welchen visuellen Narrativen sie folgen wollen. So ist wohl auch der Titel zu verstehen, gilt doch der Begriff Holocaust, griechisch für „Opfer“, vielen Juden als unpassend. Hier wurde eine Konzession an die Erwartungen des Marktes nach leichterer Verständlichkeit gemacht – wie auch in der graphischen Gestaltung, wo darauf verzichtet wurde, durch Verfremdung die Distanz zu den unfassbaren Geschehnissen visuell nachvollziehbar zu machen. Alles fällt sehr konventionell aus. Dennoch kann das Buch empfohlen werden, gehen diese Konzessionen doch lange nicht so weit, wie sie Steven Spielberg 1993 mit „Schindlers List“ in Kauf nahm. Damals kam es zu einer breiten Kontroverse um die Darstellbarkeit des Holocaust im Film. Den Kern der Kontroverse brachte der französische Filmemacher Claude Lanzmann, der selbst mit seinem neunstündigen Film „Shoa“ einen ganz anderen Weg der Erzählung gewählt hatte, pointiert auf den Punkt: „Der Holocaust, schreibt Lanzmann, sei von einem „Flammenkreis“ umgeben, „einer Grenze, die nicht überschritten werden darf, weil ein bestimmtes, absolutes Maß an Greueln nicht übersetzbar ist“. Spielberg bringe Bilder, wo in „Shoah“ keine waren, „und Bilder töten die Imagination“. Hätte Lanzmann einen KZ-Dokumentarfilm gefunden, hätte er ihn „zerstört“. (DER SPIEGEL 11/1994, www.spiegel.de/spiegel/print/d-13686148.html, 2.9.2016) Das beinahe wie eine Enzyklopädie gestaltete Buch „Holocaust“ kennt keinen „Flammenkreis“ um das Sujet. Möglicherweise wird damit die Shoa zu einer Geschichte unter anderen Geschichten, vollzogen wird mit dem Buch jedenfalls eine Art Normalisierung des Sprechens über das Unbeschreibliche.


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Personen: Gluck Wood, Angela Fellner, Karin (Übers.)

Schlagwörter: Judenverfolgung Deutschland Erlebnisbericht Drittes Reich DVD-Video Geschichte 1933-1945 Judenvernichtung Jugendsachbuch Überlebender

Interessenkreis: Zweiter Weltkrieg

Gluck Wood, Angela:
Holocaust : was damals geschah / Angela Gluck Wood. [Übers.: Karin Fellner]. - Erw. u. überarb. Ausg. - München : Dorling Kindersley, 2016. - 200 S. : überw. Ill., Kt. + 1 DVD Holocaust
ISBN 978-3-8310-2998-3 fest geb. : € 20,90

Zugangsnummer: 0014070001 - Barcode: 0000139366
JG - Signatur: JG GLUC - Buch K&J Sachbuch