RUINA
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Was passiert, wenn eine Bank pleite geht und einen riesigen Büroturm hinterlässt?
Zum Beispiel kann dieser Turm von rund 3000 Menschen besetzt und zu einem Wohnprojekt umfunktioniert werden. Selbst wenn es in diesem Turm weder Strom noch Wasser gibt und die steilen Treppenhäuser roh und ohne Geländer blieben.

Zu einer solchen Besetzung kam es ab 2007 im Zentrum der venezolanischen Hauptstadt Caracas. Schon seit 1994 ragt hier eine 45stöckige, 200 Meter hohe Bauruine in den karibischen Himmel. Nach und nach wurde sie besetzt. Erst mit einem Zeltlager, dann durch allmählichen Umbau des Gebäuderohlings zu mehr oder minder provisorischen Wohnungen durch die Hausbesetzer*innen. Wie viele Menschen hier über die Jahre Zuflucht fanden, kann niemand genau sagen. Zum Zeitpunkt der Dreharbeiten waren es wohl über 2500. Auf jeden Fall sind alle Altersgruppen vertreten. Viele Familien kamen, und mit ihnen Kinder, Jugendliche - aber auch Senioren. Aus dem Centro Financiero Confinanzas wurde ein vertikales "barrio": ein Stadtviertel, eine Heimat auf Zeit.

Jedweden Komfort mussten sich die Bewohner selbst organisieren - hatten dafür aber keine ausbeuterischen Vermieter im Nacken. Der Rohbau birgt viele Gefahren - ist aber sicherer als manch andere Slum-Behausung. Und Slums gibt es in Caracas reichlich. Rund die Hälfte der Hauptstadtbewohner lebt in Armutsvierteln.

Stück für Stück haben sich die Hausbesetzer eingebaut, was sie zum Leben brauchen oder für wünschenswert halten: eine provisorische Wasserversorgung, Elektroleitungen, Satellitenschüsseln. Hinzugebaute Mauern sorgen für mehr Sicherheit der Kinder gegen Absturzgefahr. "Das einzige, was uns fehlt, ist ein Aufzug," berichtet eine Bewohnerin. Einkäufe oder gar Möbel über zehn, zwanzig oder mehr Stockwerke nach oben zu befödern - das bleibt eine mühselige Angelegenheit.

Vielen Mitgliedern der sonstigen Stadtgesellschaft von Caracas ist der "vertikale Slum" allerdings ein Dorn im Auge. Weil die Abwasseranlagen nicht regelmäßig von den Stadtwerken gesäubert werden, treten zwangsläufig auch üble Gerüche auf.

Die Außenwelt betrachtete die Bewohner des Torre Confinanzas bald mit einer Mischung aus Angst und Verachtung. Der Turm sei ein Hort der Kriminalität, sagen Anwohner aus der Umgebung in die Kamera. Demgegenüber stehen Bilder, die eine bemerkenswerte Selbstverwaltung im Innern des vertikalen Viertels zeigen, die so gut es geht für Ordnung sorgt, mit einer Art Hausgeld Gemeinschaftsaufgaben finanziert und Fehlverhalten sanktioniert.

Während die städtische Verwaltung das vertikale Viertel jahrelang ignorierte, zog es die Aufmerksamkeit von Stadtplanern und Architekten auf sich. Ein venezolanisches Architekturbüro dokumentierte die Besiedlung des Torre über einen längeren Zeitraum. Sie sahen in der Gemeinschaft eine gelebte Utopie und äußerten die Ansicht, dass die Umnutzung verlassener Gebäude gerade in Schwellenändern ein Wohnmodell der Zukunft sein könnte. Auf der Biennale di Venezia wurde ihre Beobachtung über den Turm 2012 mit einem „Goldenen Löwen“ in der Sparte Architektur ausgezeichnet.

Auch der venezolanische Fotograf Alejandro Cegarra (Jg 1989) widmete sich dem Leben im Turm; seine Fotos fanden international Beachtung.

Markus Lenz hat mit RUINA den Menschen im Turm auch ein filmisches Denkmal gesetzt.
Sein Film erzählt von Schwierigkeiten und Erfolgen beim Aufbau einer Sozialgemeinschaft, von Not, Stolz und Erfindungsreichtum.

Aktualisierung:
Der Torre Confinanzas wurde 2014 geräumt, seine Bewohner umgesiedelt. 2018 wurde das Gebäude bei einem Erdbeben beschädigt.


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Schlagwörter: Gesellschaft Politik Alltag Dokus

RUINA
Drehbuch: Gesa Marten; Kamera: Markus Lenz, Leonardo Acevedo; Sound Design: Judith Nordbrock, Leonardo Acevedo; Produktion: Markus Lenz; Regie: Markus Lenz; Stimme: Yasmin Angel
Deutschland 2013; Ab 12 Jahren; Sprachfassung: Spanisch. Untertitel: Deutsch; 1 Online-Ressource (72 min); Bild: 16:9 SD

Zugangsnummer: A35196004549
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