Bánk, Zsuzsa
Die hellen Tage Roman
Buch

Ich weinte, weil wir anfingen, unsere eigenen Wahrheiten zu haben, uns nicht länger auf die Geschichten unserer Mütter zu verlassen, unsere Welt nach eigenen Maßstäben zu erfinden, und weil die bunten, lauten Jahre unserer Kindheit hinter uns lagen. Wir würden nicht mehr warten, wir würden Luft holen und ins Leben springen wie in tiefes Wasser, und so weit wir nur konnten, würden wir hinausschwimmen. Es sind die behüteten 60er Jahre des 20. Jahrhunderts. In einer Kleinstadt in Süddeutschland bilden drei Kinder ein scheinbar unauflösbares Dreieck: Aja, die Tochter eines ungarischen Artistenehepaars, das sich nach ihrer Geburt auf ungezielte Wanderschaft begab, bis Zigi, der Vater, eine Hütte auf dem freien Feld für sie baute, bevor er Évi und Aja im Herbst, wie jedes Jahr, verlässt, um mit einem Schiff in die Ferne zu fahren und seinem Beruf als Trapezkünstler in einem Zirkus nachzugehen. Seri, deren Vater mit 30 Jahren einen Herzinfarkt erlitt und der Mutter nichts als die Spedition überließ und einen Koffer, den sie 20 Jahre lang im Auto ungeöffnet neben sich fährt. Karl, der bei seinem Vater wohnt und dessen Bruder eines Tages zu einem Fremden ins Auto stieg und nie mehr gesehen wurde. Drei Kinder, die auf dem wilden, ungezähmten Grundstück vor Évi und Ajas Baracke eine scheinbar unbekümmerte Kindheit in der Natur erleben und deren Leben doch früh von Verlust geprägt ist: dem Verlust des Vaters - der eine tot, der andere 10 von 12 Monaten auf Reisen -, dem Verlust des Bruders. Es ist Seri, die die Geschichte erzählt in ihrer nicht einfach zu lesenden Sprache mit den gewundenen, langen Sätzen, die man manchmal zweimal lesen muss, zum Anfang des Satzes zurückkehrend, um nicht den Faden zu verlieren, aber man liest wie unter Zwang und weiß, keines der vielen Worte ist zuviel und keines möchte man missen. Trotz der Verluste ist es eine Kindheit mit eher hellen Tagen, die sie schildert, vor allem, wenn die Drei zusammen sind. Über die Jahre geschieht etwas mit ihren Müttern, die stärker noch als ihre Kinder vielleicht unter den Verlusten leiden. Ausgerechnet die einfache Évi in ihrer armseligen Hütte, Évi, die nicht lesen und schreiben kann und sich nicht auszudrücken weiß, wird der Mittelpunkt des Geschehens. Eine seltsame Freundschaft der Mütter beginnt, die ineinander etwas finden, das ihrem Leben fehlt. Später wird es Évi sein, die sie in das Leben zurückholt. Es ist ein Leben voller Sprünge, das sie alle führen, Sprünge, die von dieser merkwürdigen Freundschaft noch zusammengehalten werden, auch wenn sie mehrfach auseinanderzubrechen drohen, vor allem, als die Drei heranwachsen und nach Rom gehen zum Studium, die Mütter allein und wartend zurücklassen und Aja und Karl ein Liebespaar werden - der erste Wendepunkt in den Leben der Jungen, den Seri als tiefen Verrat empfindet. Weitere, schlimmere werden folgen. Aber so, wie die drei Mütter ihre Kinder durch alle Höhen und Tiefen des Lebens gelotst haben, so erweisen sie sich allein durch ihr Dasein als die Stützen, die die Jugendlichen lehren, dem Leben ohne Angst ins Auge zusehen und mitten hinein zu springen. Es sind drei einzelne Geschichten von Familien, die Zsuzsa Bánk hier erzählt, aber sie sind so eng miteinander verflochten, dass keine ohne die andere bestehen könnte, wie auch die drei Jugendlichen und die drei Mütter nicht ohne einander existieren könnten. Es ist eine bewegende und berührende Geschichte und sie trifft den Leser mitten ins Herz, wenn er die Kinder auf ihrem Weg ins Leben und die Mütter auf ihrem Weg aus dem Leben und wieder zurück in das Leben begleitet; eine Geschichte über das Träumen und Lieben und Größerwerden, das Herauswachsen aus der Kindheit mit allen damit verbundenen Enttäuschungen und Sehnsüchten, wie wir sie alle kennen. Vielleicht ist diese Themenbreite gerade das, was den starken Reiz des Buches ausmacht. Scheinbar nur die Biographien von drei Jugendlichen, ist der Roman eine tiefgehende Auseinandersetzung mit großen Fragen wie Freundschaft und Liebe, Verantwortung und Schuld, Verrat und Treue, Wahrheit und Lüge, Dinge, die unser Leben von der Geburt bis zum Tod bestimmen und die das unsichtbare Netz bilden, in dem die Unzulänglichkeit des Menschen, die (Un)Zuverlässigkeit seiner Beziehungen und letztlich die Fragwürdigkeit der Weltordnung sichtbar wird. Großartig. Preisverdächtig! *Alliteratus* Astrid van Nahl


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2 KöB St. Dionysius Korschenbroich, Korschenbroich


Personen: Bánk, Zsuzsa

Standort: St. Dionysius

Bánk, Zsuzsa:
¬Die¬ hellen Tage : Roman / Zsuzsa Bánk. - 4. Aufl. - Frankfurt a. M. : S. Fischer, 2011. - 540 S.
ISBN 978-3-10-005222-3 fest geb.

Zugangsnummer: 2011/0057 - Barcode: 2-1110410-8-00009415-3
Schöne Literatur - Signatur: Bank - Buch