Allen, John L.
Das neue Gesicht der Kirche die Zukunft des Katholizismus
Buch

Ein schwarzer Papst, der auf dem Petersplatz einen Exorzismus vollzieht; eine Frau, die den päpstlichen Rat für Kultur leitet und den Kardinalspupur trägt; ein Anschlag islamistischer Terroristen auf St. Peter; christliche und muslimische Gelehrte, die eine neue Theorie des "gerechten Krieges" ausarbeiten; katholisch-anglikanische Ökumene in Schwarzafrika im Widerspruch zur liberal-westlichen moralischen Beliebigkeit: Allen hält solches, und noch manch anderes für möglich. Aber klar ist für ihn auf der anderen Seite, dass es kein Frauenpriestertum geben wird, schlechte Zeiten auf die Liberalen zukommen und Rom Rom bleiben wird, das die Suche nach unterscheidenden Identitätsmerkmalen des Katholischen mit Zölibat, Kolar, konservativer Moral, traditioneller Ikonografie und ewigen Wahrheiten mit der Kirchenleitung fördern wird. Kaum ein Buch über Gegenwart und Zukunft der Kirche hat mich in der letzten Zeit mehr bewegt, als die Analytik von John Allen, einem der einflussreichsten amerikanischen katholischen Journalisten, der in Rom seit vielen Jahren die weltweite Entwicklung der katholischen Kirche und des Christentums beobachtet und mit diesem Buch aus us-amerikanischer Perspektive ein bemerkenswertes Zukunftsszenario der Kirche entwirft. Dass er die üblichen Szenarien durcheinander bringt, ist schon bemerkenswert genug. Mehr noch aber ergeht an uns alle die Forderung, Komplexität zu denken. Was Lumen gentium (Art. 8) harmlos als "komplexe Realität" ausdrückt, erweist sich in der Dramatik der Gegenwart als höchst risikoreiches Unternehmen für die Einheit der Kirche, weil in diesen Veränderungsprozessen selbst die Leitungsautoritäten Getriebene sind, denen eigentlich wenig Gestaltungsspielraum bleibt. Kurz zusammengefasst lässt sich sein Szenario wie folgt beschreiben: Ob wir wollen oder nicht, tiefgreifender Wandel ist angesagt. "Deswegen werden die Katholiken im 21. Jahrhundert die Fähigkeit brauchen, ganz neue Vorstellungen darüber zu entwickeln, was die Kirche ist und was sie aus ihrem Glauben machen sollen. Tun sie das nicht, so werden sie von bestimmten Entwicklungen einfach überrollt werden." (9) Durchweg fordert er ein neues Denken, das sich nicht an jenen Problemen festbeißen sollte, die in deutschsprachigen Landen zu Tode geredet worden sind. Doch welches sind seine Argumente und gelingt das Projekt eines evangelikalen Katholizismus, der das Stammesdenken überwindet? Die Entwicklungen der katholischen Kirche, die ein äußerst komplexes und spannungsreiches Phänomen darstellt, analysiert Allen mit zehn Trends, die er innerhalb und außerhalb der Kirche am Werk sieht. Dabei sind diese Trends nicht spektakuläre Tagesereignisse, sondern Langzeitbewegungen, die desto nachhaltiger die Voraussetzungen ändern werden. (11) Dabei bleibt ihm bewusst, dass das katholische Puzzle nicht leicht zusammenzusetzen ist: "Die schlichte Wahrheit ist, dass der Katholizismus ungeheuer komplex und ungeheuer ambivalent ist." (494) Dennoch ist die Entwicklung der Kirche nicht einfach ein beliebiges Orakel. Was die Pastoralkonstitution in der Tradition von Papst Johannes XXIII. als "Zeichen der Zeit" analysierte, entspricht in etwa seinen Trends. Er will dabei nicht Werturteile abgeben, sondern als Journalist dokumentieren, was tatsächlich vor sich geht (13). Ganz heraushalten wollte er sich aus dem Geschehen jedoch nicht: "Ich will jedoch offen eingestehen, dass ich bei der Schlussfolgerung, die ich am Ende dieses Buches ziehe, doch ins Werten verfalle, allerdings nicht bezüglich dieser Trends, sondern insofern, als ich den Katholiken dringend ans Herz lege, auf neue Weise zu denken und zu handeln, damit sie sich mit Erfolg auf diese Situation des ‚Kopfübers' einlassen können. Mir liegt sehr am Herzen, dass die Kirchenmitglieder alle ihre Ressourcen aufbieten, um sich energisch den Gefahren und Verheißungen des 21. Jahrhunderts zu stellen, denn ich bin der festen Überzeugung, dass der Katholizismus grundsätzlich über das Potenzial verfügt, zu einer Verwandlung beizutragen, wie es in dieser Form kein anderer globaler Handlungsträger hat. Ich behaupte nicht, zu wissen, wie die Kirche das fertig bringen sollte, aber jedenfalls meine ich zu wissen, wie sie es nicht fertig bringen wird: Nämlich wenn sie ihre Ressourcen und Energien in sterile interne Debatten verschleißt. Das bloße Stammesdenken eignet sich für die Kirche des 21. Jahrhunderts auf keinen Fall als erfolgreiches Anpassungsverhalten. Mir liegt sehr daran, meinen Leserinnen und Lesern die Freiheit zu lassen, selbst ihre Schlüsse zu ziehen. Aber ich möchte sie zu mutigen Schlüssen anregen." (15) Diese Einladung sollten wir annehmen und ins Gespräch eintreten (Zusammenfassungen: 9-13; 465-494). Zunächst erteilt er den üblich vermuteten Themen eine klare Absage. Weil sich die Machtstrukturen nicht ändern, wird sich weder an der (offiziellen) Sexualmoral etwas ändern, noch ein Priestertum der Frau eingeführt werden. Wir werden sehen, dass diese Aussagen auch durch die Trends gestützt werden. Was macht aber einen Trend aus? Eine ganze Liste alternativer Möglichkeiten hatte er erwogen (452 f.). Doch sie erfüllten die sechs Kriterien nicht: globale Breitenwirkung; echte Bewegung an der Basis, die über spezifische Gruppen hinausreicht; Engagement der Kirchenführung oder Einflussmöglichkeit von ihr her; Integration verschiedenster Aspekte und Entwicklungen mit entsprechender Erklärungskraft; Fähigkeit zu Voraussagen; Ideologiefreiheit des Trends, insofern er als solcher von Katholiken unterschiedlicher Einstellung erkannt werden könnte. Als mögliche Trends, die er schließlich doch als eigenständige Bewegung ausschließt, nennt er (455-464) Frauen, die Kritik wegen sexuellen Missbrauchs, Polarisierung, die Bewegungen und Johannes Paul II. So überzeugend seine Argumente sind, das Thema Frau wird zu schnell eingedämmt. Als Trends bezeichnet er also Entwicklungen, die durchaus auch unbemerkt im Gange sind und die das Bild der Kirche im 21. Jahrhundert bestimmen werden. In welcher Weise sich darin die Kirche entwickeln wird, entscheidet auch das Verhalten der Kirchenmitglieder. Insofern möchte das Buch nicht nur beschreiben, sondern mitwirken, damit die Kirche diese Herausforderungen bestehen kann. Er nennt folgende Trends: eine Weltkirche, ein evangelikaler Katholizismus, der Islam, die neue Demografie, mehr Aufgaben für Laien, die biotechnische Revolution, die Globalisierung, das Umweltbewusstsein, die Multipolarität, die Pfingstbewegung. Auch wenn er sein Unternehmen, das eher soziologischer Gesellschaftsbeschreibung nahe steht, als subjektiv einschätzt (15), ist es deshalb nicht willkürlich, weil er stets sozialwissenschaftliche Forschungen aufgreift. Da er die Globalisierung als alles prägenden Trend ansieht (19), kommen den weltweiten Aspekten eine vorrangige Bedeutung zu. Spannend an dem entworfenen Bild sind jedoch nicht allein die einzelnen Trends, die er gestuft analysiert und mit möglichen Szenarien veranschaulicht, sondern die Aufforderung, endlich Komplexität denken zu versuchen. Wenn wir mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil seine Orientierung in "Kirche nach Außen - Kirche nach Innen" analysieren, dann kommen wir zu folgender kurzen Beschreibung des künftigen Gesichts der Kirche (die der Autor noch wesentlich komplexer und vielfältiger zu schildert). Von der außerkirchlichen Entwicklung wird sich die Kirche in der globalisierten Weltgesellschaft mit dem Islam in allen Bereichen auseinandersetzen müssen. Welche Rückwirkungen diese Aufgabe im Blick auf den essenziellen Dialog mit Israel haben wird, ist kaum absehbar. Eine Herausforderung nach Innen stellt auch die Demografie dar, die in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts eine Trendwende zur Überalterung bringen wird. Wie wird der Dialog mit der Orthodoxie aussehen, wenn gerade deren Stammländer von sehr hohem Bevölkerungsschwund betroffen sein werden. Auch wird sich die Seelsorge der wachsenden Gruppe älterer Menschen zuwenden müssen. Die biotechnische Revolution wird nicht nur die Fragen der Moral und Anthropologie, sondern die Kirche in ihrer Lebensauffassung radikal angehen. Die globalisierte Welt wird eine multipolare Welt darstellen, die auch für die vatikanische Diplomatie eine Neuorientierung verlangen wird. Das neue Umweltbewusstsein in einer hoch gefährdeten Zeit verlange eine neue Theologie der Schöpfung. Innerkirchlich wird die Pfingstbewegung, die stärkste religiöse Bewegung der letzten Jahrzehnte, von größter Herausforderung und Wirkung auch nach innen sein. Innerhalb der Kirche ist der Weltkirchencharakter zu nennen und die wachsende Bedeutung der Laien, auch wenn diese Entwicklung gerade eine intensive Klärung priesterlicher Identität nach sich ziehen wird. Die entscheidende Bestimmung der Kirche der Zukunft ist für Allen der "evangelikale Katholizismus" (67-112; v. a. 69 f.). Darunter versteht Allen einen um seine Identität durch Abgrenzung besorgten Katholizismus, der traditionelle Moralnormen, überzeitliche Wahrheiten, unerschrockene, ja kompromisslose Glaubenstreue und missionarischen Eifer mit einer Kritik an der liberalen Gesellschaft, dem Kapitalismus und der Säkularisierung verbindet. Deshalb sind die Nutzung neuer Medien, flexible Koalitionen quer zu Konfessionsgrenzen (vor allem mit den Pfingstlern) problemlos möglich. Dass dabei auf die Bedeutung von Glaube und Vernunft (die große Idee der Katholizität und des derzeitigen Pontifikats als Kriterium dieser Identitätssuche) mit keiner Silbe verwiesen wird, zeigt, was im Gange ist. Allen optiert angesichts dieser Entwicklung abschließend für den Mut, global katholisch zu sein. Das bedeutet, den Tribalismus in allen Varianten zu überwinden, der sich durch verschiedenste Gruppen ausgebildet hat. Nur so könnte der Katholizismus ein Modell für eine globalisierte, multipolare und höchst konfliktreiche Welt darstellen. In der Aufnahme der Ekklesiologie des Konzils spricht er von einer "Communio-Ekklesiologie", die als universales Sakrament des Heils dienen könne (491-494). Aber wie soll das möglich sein? Mir scheint, dass dieser letzte Abschnitt nicht mit den Analysen des Vorhergehenden, vor allem der Idee des "evangelikalen Katholizismus", in Einklang zu bringen sein wird. Schon seine disqualifizierenden Bemerkungen zu Äußerungen liberaler oder - so meine Sicht - "normalkatholischer" Gruppen, die wohl bekannte Zurückweisung der sogenannten "alten heißen Eisen", die kalt geworden sein sollten, erweisen seine Analyse bereits als Option für einen "evangelikalen Katholizismus". Dieser evangelikale Aspekt, den er nach dem Muster des Verdrängungswettbewerbes religiöser Anbieter in den USA herausarbeitet, scheint mir dadurch gekennzeichnet zu sein, dass er nicht gesprächsfähig sein will, sondern seine Identität in harscher Entgegensetzung zu anderen propagiert und seine Form des Katholischen als die einzig mögliche versteht. Urkatholisches "et - et" ist einer solchen Bewegung fremd, zumal sie von der Kirchenleitung seit vielen Jahre bevorzugt unterstützt wird. Was als Trend erscheint, ist auch Ergebnis gewollter Kirchenpolitik. Ich kenne keine Verurteilung rechter Meinungen und theologischer Radikalismen. Das Muster des sogenannten "evangelikalen Katholizismus" entspricht zudem klar der Logik gesellschaftlicher Identitätsbildung in der Spätmoderne: Identität durch Ausgrenzung und Abwertung. Die Reaktion auf das Theologenmemorandum, die "lehramtlichen Ansprüche" von Internetplattformen wie "kath.net" und mehr noch "kreuz.net" haben uns bereits einen Geschmack von diesem evangelikalen Katholizismus vermittelt. Bloße Glaubenszustimmung aber kann auf Dauer die Herausforderung, welche die evangelikale und pfingstlerische Bewegung erst hervorgerufen hat, nicht ignorieren: die modernen Wissenschaften mit ihrem relativierenden Geschichtsverständnis, anthropologischen und naturwissenschaftlichem Naturalismus. Auf Dauer kann eine katholische Kirche nicht sein, ohne zwischen Glauben und Denken zu vermitteln. Diejenigen aber, die solches versuchen, werden bei Allen etwas despektierlich "Liberale" genannt oder der bloßen Anpassung an die Säkularität geziehen. Warum sollten, wie Allen meint, die "Liberalen" und "Katholiken ohne Attribut" aus der Kirche auswandern? Warum erwartet Allen, dass sich gerade diese Gruppen immer an das "sentire cum ecclesia" halten, während andere fröhlich exkommunizieren, ein Schisma durchführen und dann alle diffamieren können? Dass Allen vor einem "heißen Eisen" kneift, sehe ich in der wenig überzeugende Ablehnung der Frauen als Trend. Denn die Frage der Stellung der Frau ist in jedem Teil des Buches Subthema. Wir sollten uns nicht darauf verlassen, dass Frauen, wie üblich, an vorderster Front ungemein viel leisten, und sich dann von Kardinälen bevormunden lassen müssen, die sich wieder in langen Schleppen gefallen. Mir scheint, dass das stille Schisma, mit dem wir leben, sich in ein offenes entwickeln wird, wenn sich weiterhin nur eine Richtung in der Kirche episkopal und kurial vertreten wissen darf. Trotz aller Klärung und Anerkennung der Macht- und Entscheidungsstrukturen in der katholischen Kirche, ist in Zukunft damit noch nichts gewonnen. Denn was ist ein bestimmendes und normierendes Amt, wenn niemand mehr zuhört und nur auf eigene Weise gehorcht. Das haben die "evangelikalen Katholiken" seit Jahren vorgelebt. Mir scheint, dass derzeit andere Gruppen sich dieses Beispiel zu Herzen nehmen, und auf ebenso eigenwillige Weise antworten werden. Ich teile die Zukunftsvision Allens, aber dazu müsste der sogenannte "evangelikale Katholizismus" erst wirklich katholisch werden: "et - et" bedeutet immer, die anderen auch.


Dieses Medium ist verfügbar. Es kann vorgemerkt oder direkt vor Ort ausgeliehen werden.

Personen: Allen, John L. Schellenberber, Bernardin

Allen, John L.:
Das neue Gesicht der Kirche : die Zukunft des Katholizismus / John L. Allen. Aus dem Amerikan. von Bernardin Schellenberger. - 1. Aufl. - Gütersloh : Gütersloher Verl.-Haus, 2010. - 494 S. ; 22 cm
Einheitssacht.: The future church . - Literaturverz. S. [495]
ISBN 978-3-579-06550-2 gb. : 30,00 EUR

Zugangsnummer: 0201/9053 - Barcode: 2-1190029-8-00002065-7
Kirchengeschichte; Geschichte der katholischen Kirche - Signatur: 3.1 Allen - Buch