Aichner, Bernhard
Nur Blau Roman
Buch: Dichtung

"Nur Blau", das dritte Buch von Bernhard Aichner erzählt von einer intensiven Beziehung, der Liebe von Mosca zu Jo. Mosca ist ein Literaturkritiker, ein Ästhet, ein Kopfmensch, und - wie könnte es anders sein - er findet in Jo, dem Lebens-Künstler, der alles in eine Waagschale legt, das, was ihn nicht mehr los lässt. Es ist eine amour fou, die dem Roman Tempo, Tiefe und einen Hauch Melancholie gibt. Jo, der leidenschaftliche Augenmensch, begegnet eines Tages der Kunst Yves Kleins, taucht ein in dessen unvergleichliches Blau, das Kunstgeschichte geworden ist. Jo kopiert das Blau, findet heraus wie die Zusammensetzung der Pigmente beschaffen sein muss, damit es dieselbe unverkennbare Wirkung besitzt, wie die Farbe jener Monochrome aus den fünfziger Jahren, mit denen Yves Klein weltberühmt wurde. Dieses Blau ist für Jo jener ätherische Raum, den Klein mit seiner Kunstphilosophie aufgeladen hat, es ist wie die andere Seite des Himmels, wie der Traum der Schwerelosigkeit. Mosca hingegen bewegt sich im Denken, er hat eine Sprache für Jos Obsession, für seine Kunst. Lesend folgt man dem Sog dieser Liebe, deren Faszination auch in der geteilten Leidenschaft für den Prozess der Aneignung von Yves Kleins "Blau" ist. Um die Verstrickungen der beiden ranken sich andere Beziehungs- und Lebensgeschichten. Da gibt es Ming, die es von China in das vermeintlich chancenreiche Deutschland gespült hat und die sich an Alis Imbissstube abrackert - für nichts weiter als den Platz zum Stehen. Auf ihre Art träumt auch sie den Traum eines ‚schwerelosen' Lebens. Eines Tages schlägt sie verzweifelt zu und reißt für sich selbst ein Stück aus dem Leben eines anderen. Das Leben ist nicht fair, Onni, der schwedische Hyne mit einem versehrten Körper steht auf der Verliererseite - hoffnungslos. Wie Ben, der Taxifahrer. Er hängt auf der schlaflosen Nachtseite fest und kippt zwischen den Fahrten in wilde Alpträume, die es mit Szenen aus Horrorfilmen ersten Ranges aufnehmen können. Auf seiner besten Tour von Frankfurt - München und zurück, dann weiter nach Paris, fährt er sein Gerät zu Schrott. Aber da ist vor allem auch der gutmütige traurige Müllarbeiter Olivier, der von seiner Frau verlassen wurde. Er blättert in seiner Freizeit am liebsten in Kunstbüchern und erschafft sich so mit den Augen eine saubere, bunte phantasievolle Gegenwelt. Das Leben kann verrückt und schön sein, es schickt Olivier auf eine abenteuerliche Reise mitten hinein in eine wärmende Liebe, im Handgepäck nichts weniger als ein Original von Yves Klein. Dieses blaue Rechteck, eine dünne Schicht blauer Farbe auf Leinwand, verknüpft wie ein magisches Pfand die Lebensfäden der Figuren. Verstrickungen, Zufälle. Und am Ende steht Anna, die wie Jo für den Traum ihrer eigenen Kunst lebt - mehr schlecht als recht, bis sie Mosca über den Weg läuft und die Geschichte ihren End-Lauf nimmt. Die Figuren des Romans haben alle miteinander zu tun, auch wenn sich manche nie begegnen, dennoch hängen ihre Schicksale - wie von unsichtbarer Hand verknotet - zusammen. Jede der Figuren ist ihren Lebensmotiven auf der Spur, folgt dem Geruch des Lebens, gehorcht Obsessionen, Leidenschaften, Sehnsüchten. Die Charaktere sind so verschieden, wie sie denn auch unterschiedliche Linien in der Romanhandlung hinterlassen. Am Ende scheint es, als wären die Geschicke ihrer kleinen unscheinbaren Leben durch das Spiel von Ursache und Wirkung bestimmt, als gehorche alles Geschehen einer inneren Logik. Die raffinierte Komposition der Handlungsfäden erzeugt eine mitreißende Film-Spannung, erinnert ein wenig an Woody Allans letzten Kinohit "Matchpoint", der erzählt, wie alle großen Dinge des Lebens, entscheidende Wendepunkte, an denen einer auf der Gewinner- oder auf der Verliererseite zu stehen kommt - wie im Grunde alles von winzig kleinen Zufällen abhängt. Letztlich kommt es darauf an, an welchem Ort zu welcher Stunde in welchen Zusammenhängen sich jemand befindet. Der Erzähler in Aichners Roman bleibt subtil im Hintergrund, hält die Fäden in der Hand, weiß wo es lang geht, wohin die Handlung führt, weiß wann und wo etwas passiert. Er rekonstruiert, oder mehr noch: protokolliert das Geschehen mit präzisen Zeitangaben - die Figuren stehen im Rennen, scheinbar ahnungslos - ausgeliefert. Der poetologische Reiz Aichners Romantechnik liegt in diesem völlig unaufdringlichen, aber doch: wissenden Erzähler, der nahe genug die Situationen, die intimen Räume der Charaktere heranzoomt, um kleine treffende Details wahrzunehmen - jedoch ohne hartes Ausleuchten, ohne grelle Optik. Er kommentiert nicht, wertet nicht, um so aufmerksamer aber beobachtet er seine Figuren - er sitzt nicht in ihrem Inneren, sondern gleichsam auf ihren Schultern. Dadurch entsteht Distanz, ein Zwischenraum, in dem sich Ungesagtes, Angedeutetes, das Gefühl der Fremdheit einnisten können. Der Erzähler gibt den Figuren atmosphärisch und konkret genau jenen Rahmen, in dem sie zur Geltung kommen, in dem sie sich preis geben. Sie bewahren jedoch das, was sich entzieht, entziehen muss: das Geheimnis des eigenen Raumes. Max Frisch sagte einmal: "Die Sprache ist wie ein Meißel, der alles weghaut, was nicht Geheimnis ist, und alles Sagen bedeutet entfernen. (…) Wie der Bildhauer, wenn er die Meißel führt, arbeitet die Sprache, indem sie die Leere, das Sagbare, vortreibt gegen das Geheimnis, gegen das Lebendige. Immer besteht die Gefahr, daß man das Geheimnis zerschlägt, und ebenso die andere Gefahr, daß man vorzeitig aufhört, daß man es einen klumpen sein läßt, daß man das Geheimnis nicht stellt (…)." Über ein Geheimnis lässt sich wenig sagen, im Gegenteil: es verbietet sich nachgerade. Aber man ist ihm ständig - lesend - auf der Spur. Alle Erzählfäden des Romans bewegen sich kontinuierlich auf das unerwartete, unvorhergesehene Ende zu, das ich hier mit keinem Wort verraten möchte. Nur das eine: In ihm verbirgt sich ein Bild, das als symbolische bzw. metaphorische Abbildung das geheime Zentrum des Romans ist, sein Kerngedanke und Grundmotiv - sein Thema, das wie in der Musik an markanten Stellen des Romans wiederkehrt. Als literarischer Text lebt "Nur Blau" vom Spiel mit oder vor der hauchdünnen durchscheinenden Wand zwischen Glück und Unglück, zwischen Lachen und Zorn, zwischen Leben und Tod.


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Personen: Aichner, Bernhard

Schlagwörter: Taschenbuch Neuere österreichische Literatur Autor <Österreich> österreichische Literaur <Neuere> Autor <Tirol>

Aichner, Bernhard:
Nur Blau : Roman / Bernhard Aichner. - Wien : Skarabäus, 2006. - 216 S.
ISBN 3-7082-3200-3 fest geb. : ca. € 19,90

Zugangsnummer: 0024069001 - Barcode: 0000439510
Gesellschaft-, Liebes- und Eheromane, Frauen und Familienromane - Signatur: DR.G Aich - Buch: Dichtung