Anhand des Schicksals eines "Kuckuckskindes" werden die Probleme der Nachkriegszeit trotz wirtschaftlichem Aufschwung nachvollziehbar dargestellt. (DR) Die Hausaufgabe "Familienstammbaum zeichnen" konfrontiert Marianne mit der Tatsache, dass sie das Kind eines französischen Soldaten ist und im Haus der väterlichen Großeltern nur wegen ihrer Halbschwester Sieglinde geduldet wird. Nach dem Schock dieser Entdeckung beginnt Marianne genauer hinzuschauen und beobachtet dabei vieles, worüber im Dorf nicht gesprochen wird. Die dramatische Wende kommt mit dem italienischen Gastarbeiter Enzo, der vielen Frauen des Ortes Hoffnung auf eine sonnigere Zukunft im Süden macht. Dieser Roman für junge Erwachsene schildert eine Zeit, die vielen älteren LeserInnen noch vertraut ist. Da ist vom Einzug des ersten Kinos in eine Ortschaft, vom Kauf eines Radios oder Fernsehers oder gar vom Einbau eines gekachelten Badezimmers die Rede. Aber auch von Intoleranz und dem Ignorieren von Problemen wird erzählt: Da ist das geistig zurückgebliebene Mädchen, über dessen schwierige Familiensituation nur gemunkelt wird, oder die vorgetäuschte Freude über die späte Rückkehr eines traumatisierten Kriegsgefangenen, dem, zur Erleichterung aller, nur der Freitod bleibt. Die Geschichte ist eher bieder erzählt: Was die LeserInnen wissen sollen, wird durch Mariannes Erkenntnisse entdeckt; kurze Textpassagen zwischen den Kapiteln deuten auf ein dramatisches Ende hin. Es kommt zu einem tödlichen Zwischenfall, den es als "Auflösung" der Geschichte nicht gebraucht hätte. Hervorzuheben ist aber die starke Authentizität, die wahrhafte Darstellung der Nachkriegsjahre sowie der Enge des dörflichen Raums und die Bemühung der Autorin, die Personen mit Stärken und Schwächen zu zeigen. Empfehlenswert nicht nur für junge Erwachsene.

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Personen: Barth-Grözinger, Inge