Schachinger, Tonio
Nicht wie ihr Roman
Buch

Die Einsamkeit des Fußballstars Tonio Schachingers Debütroman »Nicht wie ihr« Ein Fußballroman auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises? Das gab es 2016, als Philipp Winkler mit »Hool« nominiert wurde, und das gibt es drei Jahre später wieder, mit Nicht wie ihr, einem Roman des 1992 geborenen Tonio Schachinger. Beide Male handelt es sich um Debüts, und beide Male sieht sich derjenige Leser getäuscht, der eine sich um Meisterschaften, Pokalsiege, Fallrückzieher oder Pressing drehende Prosa erwartet. Während Winkler in die norddeutsche Hooligan-Szene eintauchte, deren Akteure sich kaum für das Spielgeschehen, dafür umso mehr für die Randale vor dem Anpfiff interessieren, widmet sich Schachinger einem jener Stars des Boulevards, die dank explodierender Transfersummen und abnormer Gehälter binnen kurzer Zeit zu Jungmillionären werden, und lässt den Ball selbst kaum einmal rollen. Ivo Trifunovic, siebundzwanzigjähriger, aus Bosnien stammender österreichischer Nationalspieler, ist Schachingers Held, der auf den ersten Blick alle Insignien eines neureichen Aufsteigers aufweist. Er hat sich eine Ehefrau mit »perfekten Brüsten« zugelegt, ist Vater zweier Kinder und fährt standesgemäß Bugatti – ein Wochengehalt von 100?000 Euro macht das und vieles andere möglich. Das runde Leder ist sein Lebenselixier; »nichts anderes auf der Welt« könnte er machen, »als Fußball zu spielen«. Obwohl er noch im besten Sportleralter ist, hat er schon etliche Höhen und Tiefen hinter sich. Mit zwanzig gewann er – wenngleich nur als Ersatzspieler – mit Chelsea die Champions League. Anschließend kickte er erfolglos für Real Madrid und suchte sein Glück hier und dort, auch in Deutschland, wo er beim Hamburger SV, der ständig seinen längst verblichenen Triumphen unter Trainer Ernst Happel nachtrauert, größte Qualen erlitt. Auch als Nationalspieler schafft er es nicht, auf sich aufmerksam zu machen, denn mit Österreich scheitert er allen Vorschusslorbeeren zum Trotz kläglich bei der Europameisterschaft 2016. Aktuell ist er im Mittelfeld der englischen Liga, beim FC Everton, angekommen, und die Chancen, dass es Ivo noch einmal zu einem Topverein schaffen wird, sind gering. Der Reiz dieses Romans besteht darin, dass sich sein Autor nicht damit zufriedengibt, einen dumpfen, allen Klischees entsprechenden Profi zu schildern und sich damit als Gesellschaftskritiker zu positionieren. Gewiss, Ivo liebt es, sich mit Statussymbolen zu umgeben, und sobald ihm missliebige Zeitgenossen über den Weg laufen, besteht sein Vokabular vor allem aus Wörtern wie »Hurenkind«, »Missgeburt«, »Opfer« oder »Lutscher«. Doch gleichzeitig ist Ivo ein Außenseiter, der seinem Berater eher hilflos ausgeliefert ist, unter Einsamkeit leidet und sein Privatleben kaum in den Griff bekommt. Bei aller Liebe, die er für seine Familie empfindet, lässt er sich auf eine Affäre mit seinem Jugendschwarm Mirna ein. Wie diese lebt, vermag er nicht zu begreifen – und gerade deshalb erliegt er ihr. Besonders empört es ihn, dass Mirna, als er mit ihr Schluss macht, um seine Familie zu retten, nicht mit der ihm angemessen scheinenden Verzweiflung reagiert. Nicht wie ihr ist literarisch und stilistisch kein großer Wurf. Schachingers Versuch, die Perspektive seines hin und her gerissenen Helden einzunehmen, überzeugt vor allem dort nicht, wo er diesem allzu gewichtige Gedanken in den Mund legt. Was es heißt, als Profi sein ganzes Leben Spielplänen unterzuordnen, das hingegen macht dieser Roman auf überzeugende Weise deutlich. En passant liefert Schachinger zudem charmante Sottisen, wenn er Torwart Manuel Neuer zu den »seelenlosen Maschinen« zählt, die aus der Retorte kommen und es in jedem anderen Metier ebenso zur Extraklasse brächten, oder über die geistigen Kapazitäten österreichischer Legenden (»Sogar Toni Polster wirkt neben Hans Krankl intelligent«) sinniert. Auch für diejenigen, die über vierzig Jahre nach Cordoba (»I werd narrisch!«) immer noch Freude daran finden, über das Wesen des deutschen Fußballs nachzudenken, hält Schachinger einiges parat: »Die Deutschen verstehen nicht einmal, was Schönheit ist. Sie können die WM gewinnen, weil sie Erfolg so definieren, dass sie keine Fehler machen. (...) Deshalb gibt es fesche Deutsche, aber keine schönen und sogar die feschen sind fad. Niemand sonst kann auf so eine langweilige Art fesch sein wie sie. Die Deutschen sind schon fesch, wenn sie nicht entstellt sind.« Vielleicht sollte der deutsche Bundestrainer Joachim Löw ja beim nächsten Match seiner Mannschaft gegen Österreich, wenn es zwar nicht gegen den fiktiven Trifunovic, aber gegen den realen Marko Arnautovic geht, seinen Spielern zur Motivation etwas aus Tonio Schachingers Nicht wie ihr vorlesen.


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Personen: Schachinger, Tonio

Schachinger, Tonio:
Nicht wie ihr : Roman / Tonio Schachinger. - Wien : Kremayr und Scheriau, 2019. - 304 S.
ISBN 978-3-218-01153-2 fest geb. : EUR 22,90

Zugangsnummer: 2020/0122 - Barcode: 2-1210055-0-00007431-5
Schöne Literatur - Signatur: Schach - Buch