Cantieni, Monica
Grünschnabel Roman
Buch

Unter einem Grünschnabel versteht man im Volksmund einen Anfänger, der schon ein gewisses Fachvokabular einsetzt, dieses aber noch nicht ganz richtig verwendet. In Monica Cantienis Roman "Grünschnabel" wird ein Kind vorerst zum geschlechtsneutralen Erzähler / Erzählerin, es taucht in den großen allgemeinen Wortschatz der Gesellschaft ein und benützt Begriffe wörtlich, leicht daneben oder aufklärend falsch und dadurch richtig. Dabei hat das Kind einen sehr schlechten Start, der Vater kauft es für 365 Franken von der Stadt. Das Kind ist zur Adoption freigegeben worden und gilt jetzt in der neuen Familie als Anschaffung fürs Leben. (8) Geschäfte und Geld sind die ersten Elemente, das der Grünschnabel mitkriegt, dabei stellt sich bald heraus, dass der Vater ein Trottel und kein guter Geschäftsmann ist. Diese Geschäftssprache zieht sich durch den Alltag, das Kind gilt zwischendurch als Lieferung, andererseits dauert ein Geschäft oft ein Leben lang, weshalb sich das Kind schon einmal ein anderes Leben ausmalt für die Zeit, wo sie fertig adoptiert ist. Denn auch eine Adoption dauert wie ein Geschäft ewig. Mittlerweile stellt sich heraus, dass es in der Welt mehrere Sprachen, mehrere Zugehörigkeiten und mehrere soziale Schichten gibt. Etwas, was für einen Bereich durchaus geglückt ist, kann schon im nächsten Augenblick als verunglückt gelten. Das Kind richtet sich ein kleines Kistchen her, worin es sogenannte Sprachkärtchen sammelt und ordnet in der Hoffnung, einen richtigen Zugang zu den Bedeutungen zu finden. Die allgemeine Logik freilich ist verwirrend, so darf man keine kleinen Kinder essen, wenn sie aber vom Schwein sind, gehen sie als Spanferkel spielend durch. Ähnliches gilt für die sogenannte Politik, was an Wörtern ausgeschüttet wird, muss noch lange nichts bedeuten. Allmählich entwickelt Grünschnabel einen eigenen Überlebensfahrplan, der fallweise richtige Lebensweisheiten ausspuckt. "Wie besucht man jemanden, den es gar nicht gibt. - Mit dem Kopf." (150) "Die Prostata: macht Männern Ärger, macht Frauen traurig." (197) Auch das Lesen, das scheinbar so schön ist, kann durchaus ungesund und sogar gefährlich werden. Denn wenn zu Hause ein Unglück passiert ist der Lesende immer allein, denn Bücher holen keinen Krankenwagen. (158) Und die Ethik lässt sich auch mit dem besten Sprachkästchen nicht transportieren, warum soll man Opa nicht einschläfern, wenn sein Leben keinen Sinn mehr macht. (191) Monica Cantieni hat mit Grünschnabel nicht nur eine ideale Erzähl-Figur sondern eine ganz einzigartige Erzähl-Welt geschaffen. Denn was so naiv und schräg hinterfragt durch die Episoden läuft, ist in Wirklichkeit ein wundersames Sprachspiel, das die einzementierte Welt auf jeder Seite leicht aus den Angeln hebt.
[Quelle: biblio.at # 48 Helmuth Schönauer]


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Personen: Cantieni, Monica

Schlagwörter: Adoption Schweiz Immigrantenmilieu 1970er-Jahre

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Cantieni, Monica:
Grünschnabel : Roman / Monica Cantieni. - Dritte Auflage. - Frankfurt am Main : Schöffling & Co, Verlagsbuchhandlung GmbH, 2011. - 239 Seiten
ISBN 978-3-89561-345-6 Festeinband : 19,00 EUR

Zugangsnummer: 2020/0394 - Barcode: 2-3020002-7-00031344-5
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