Franck, Julia
Die Mittagsfrau
Buch

Vom Verschwinden einer jungen Frau und Mutter nach dem Miterleben zweier Weltkriege. (DR) Pommern 1945: Der siebenjährige Peter sitzt allein auf einer Bank am Bahnsteig, seinen kleinen Koffer am Schoß, den Blick fortwährend auf die Tür zur Bahnhofshalle gerichtet, hinter der die Mutter verschwand - und nicht mehr zurückkehren wird. Peter wartet, kämpft gegen den Schlaf an, doch von der Mutter Helene keine Spur, auch nicht am nächsten Tag. So der ergreifende Prolog - ihn aus der Sicht des Siebenjährigen zu schildern, war ein gelungener Kunstgriff - in Julia Francks jüngst mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichneten Zeit- und Familienroman. Wie es zu dieser kaltherzigen Tat einer Mutter kommen konnte, wie Taubheit und Kälte von Helene Besitz nehmen, ihr ihre Träume und Hoffnungen genommen werden, dem versucht Franck auf den folgenden 400 Seiten nachzuspüren: Sie entwirft ein Charakterbild einer starken Frau, deren von Schicksalsschlägen gezeichneter Lebensweg vielmehr ein Leidensweg war. Helenes gefühlskalte Mutter, eine Jüdin, zieht sich immer mehr in ihre eigene Welt zurück, nimmt ihre Töchter kaum mehr wahr. Der Vater kommt schwer verletzt aus dem Ersten Weltkrieg zurück und stirbt kurze Zeit später. Von der Mutter ungeliebt und verstoßen, wird die neun Jahre ältere Schwester Helenes Bezugsperson, gemeinsam gehen die innig verbundenen Schwestern von der Lausitz nach Berlin, wo sie die wilden Zwanziger Jahre miterleben. Mit dem Tod ihres einfühlsamen Verlobten Carl verliert die blitzgescheite junge Frau jegliche Zukunftsperspektive sowie die Hoffnung auf das ersehnte Medizinstudium. Allein in ihrem Schmerz, sehnt sie ihr Verschwinden herbei. In der Ehehölle mit dem deutschen Nationalsozialisten Wilhelm, der ihr einen gefälschten Ahnenpass verschafft, verliert sie nicht nur ein Stück ihrer Identität. Wenngleich die in Berlin lebende Autorin detailverliebt ist und mancherorts sehr in die Breite geht, vermag der Roman, der bei Francks eigener Familiengeschichte Anleihen nimmt, insgesamt zu überzeugen. Franck bleibt dicht bei ihrer Protagonistin, schildert ihr Zerbrechen ausdrucksstark. Ein Buch, das in seiner Tragik nahegeht und dessen sinnliche Sprache noch lange nachhallt. Äußerst lesenswert und allen Büchereien sehr zu empfehlen. *bn* Cornelia Gstöttinger


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Personen: Franck, Julia

Schlagwörter: Berlin 2. Weltkrieg Deutschland / 20er-Jahre

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Franck, Julia:
¬Die¬ Mittagsfrau / Julia Franck. - 7. Aufl. - Frankfurt a. M. : S. Fischer, 2007. - 429 S. ; 22 cm
ISBN 978-3-10-022600-6 fest geb. : ca. Eur 20,50

Zugangsnummer: 2007/0686 - Barcode: 2-9187339-0-00003763-1
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