Linksextremismus, Rote Armee, al-Qaida, Dschihadismus, Islamist, Salafismus, Sektierertum im Islam,
Farhad Koshrokhavar untersucht in seinem sehr interessanten und lesenswerten Buch die Ursachen, Abläufe und Folgen von Radikalisierungsprozessen. Aufgrund der Aktualität und Brisanz der derzeitigen Bedrohungslage liegt sein Hauptaugenmerk auf den Radikalisierungen junger Menschen aus den westlichen Staaten, die sich jihadistischen Gruppen anschließen. Sein Buch besticht durch eine sehr fundierte, differenzierte und sachliche Analyse einer Themenstellung und weicht wohltuend von den oft so überhitzt und emotional geführten Debatten des politischen Tagesgeschäfts ab.

Der Autor definiert Radikalisierung hierbei als Prozess von Einzelpersonen und/oder sub-staatlichen Gruppen, bei der eine Ideologisierung des Denkens mit der Bereitschaft zu extremer Gewalt einhergeht, was natürlich in vielen Fällen letztlich auch in terroristischer Gewalt mündet. Der Autor arbeitet im Laufe seiner Untersuchung bestimmte Konstanten und Muster heraus, weil sich in vielen Radikalisierungsprozessen doch auffallende Überschneidungen finden lassen, stellt aber auch klar, dass es keine einfachen und monokausalen Erklärungen gibt, weil immer ein ganzes Bündel an Ursachen, Entwicklungen und Einflussfaktoren für einen erfolgten Radikalisierungsprozess verantwortlich ist.

So untersucht Koshrokhavar zum Beispiel Gemeinsamkeiten und Unterschiede von Radikalisierungen zwischen Mitgliedern unterschiedlicher gesellschaftlicher Gruppen und Schichten, zwischen Männern und Frauen, zwischen westlichen Staaten und muslimischen Staaten, zwischen demokratischen und autoritären Staaten etc. Der Autor vergleicht aber auch mit früheren und aktuellen Radikalisierungsprozessen, die in letztlich auch im Terrorismus mündeten bzw. münden (Anarchismus des 19. Jhd., linksextremer und rechtsextremer Terrorismus.)
Ebenso analysiert der Autor den Ablauf von Radikalisierungsprozessen sowie die unterschiedlichen Ort dieser Prozesse (Moschee, Gefängnis oder Internet), arbeitet Muster heraus und unterlegt seine Ausführungen mit plakativen Fallbeispielen. Zudem nimmt er immer wieder Einordnungen in den entsprechenden historischen und zeitgeschichtlichen Bezugsrahmen vor und dadurch entsteht ein sehr vielschichtiges und fundiertes Bild zu diesem äußerst interessanten und wichtigen Thema.

Jedoch sind mir im Laufe des Buches auch einige Fehler und Ungenauigkeiten aufgefallen. So fielen den Mordanschlägen der RAF nicht 24 (S. 67) Menschen zum Opfer, sondern 34.
Auf Seite 81 heißt es, der IS wollte „sein Gebietsansprüche nicht auf Syrien beschränken“, es müsste aber heißen, dass er seine Gebietsansprüche nicht auf den Irak beschränken wollte, weil er ja als Islamischer Staat im Irak (ISI) erst seine Expansion nach Syrien startete.
Samantha Lewthwaite ist nicht die Witwe eines Selbstmordattentäters auf die Pariser Metro, sondern die Witwe von Germaine Lindsay, der sich bei den Anschlägen vom Juli 2005 in London in die Luft sprengte.
Auf Seite 107 müsste es „zu Beginn des 21. Jahrhunderts“ heißen, als London ein Hochburg von Islamisten war und nicht „zu Beginn des 20. Jahrhunderts.“
Diese kleinen Fehler sind ein wenig schade, weil sie doch relativ leicht vermeidbar gewesen wären.

Nichtsdestotrotz ist Farhad Koshrokhavar ein sehr interessantes und informatives Buch über ein gesamtgesellschaftliches Thema von höchster Relevanz und Aktualität gelungen und es ist ihm zuzustimmen, dass ein rein repressiver Ansatz mit Polizei und Geheimdiensten nicht zum Erfolg führen wird.
Wir müssen die herrschenden gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und Zustände kritisch hinterfragen, präventive Ansätze erarbeiten und auch Programme zur Deradikalisierung entwickeln, um bereits verlorene junge Menschen wieder aus den Fängen der vom Hass zerfressenen Ideologen zu befreien. Nur dies wird dauerhaft zu einer Besserung der Lage beitragen.

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Serie / Reihe: Baand 1796

Personen: Khosrokhavar, Farhad