Zeman, Barbara
Immerjahn Roman
Buch

Gähnende Fülle Barbara Zemans Debütroman »Immerjahn« Angekündigt wird ein Wunderkind. Das Kind: Barbara Zeman, geboren 1981. Das Wunder: ihr erster Roman, veröffentlicht im Frühjahr 2019. Die Chronik eines angekündigten Wunderkinds zeitigt auf Seiten der Kritik polarisierte Positionen: hymnisches Lob auf der einen, polemischer Tadel auf der anderen Seite. Für die einen ist dieses Debüt »Ausreißer und Quertreiber« im Mainstream zeitgenössischer Literatur, für andere »einem Trend des aktuellen Belletristikmarkts folgend«, nämlich von »einer Identitätskrise« erzählend. Von Beschreibungopulenz sprechen die einen, von Beschreibungsimpotenz die andern; je nachdem ist das Buch sprachlich fulminant oder fade; »eigenwillige Fantasie und Fabulierlust« hie, »Addition von Wissenshäppchen« dort. Beide Positionen haben ihre Berechtigung, bedienen freilich Klischees, die in ihrer Eindimensionalität der raschen Urteilspflicht des Literaturmarkts geschuldet sind. Worum geht’s? Immerjahn, Titel und Name in einem, ist ein dekadent-schönes, ein blumiges Konstrukt. Der diesen Namen und dessen familiäre Bürde trägt, ist Mitte 50, bewohnt eine Mies-van-der-Rohe-Villa auf dem »Hagebuttenberg«, abgeschottet, sodass man unten in der Stadt »Schlussburg« Gerüchte über die Immerjahns streut, die seit drei Generationen auf diesem biedermeierlichen Anwesen der Moderne – Peristylhof, Reflexionsbecken, Steinwiesen, italienischer Garten – hausen. Das Gärtlein, welches dieser weltabgewandte Candide des 21. Jahrhunderts bestellt, ist die Gemälde-, Skulpturen-, Kuriositäten- und Memorabiliensammlung seiner Vorfahren, Benedickt sen. respektive jun. und Gattinnen: Aus der Wunderkammer dieser beiden zu immensem Vermögen gekommenen Zementfabrikanten soll ein öffentliches Museum werden, in knapp zwei Wochen ist es so weit. Aber das, was sich hier in scheinbarer Umtriebigkeit anbahnt und das Zeug zu einer soapartigen Industriellen-Saga hätte, schickt sich mitnichten an, dieser Versuchung nachzugeben und Erzählbares auszuweiden. In der flimmernden Augusthitze jenes Tages, den dieses Buch schildert, gerinnt jegliche Handlung zum Tableau vivant: unwirkliche Bewegungen, künstliche Beziehungen, theatralisch exaltierte Beschreibungen. Das umgebende Personal lässt den Museumsgründer in spe improvisieren: »Sein Trupp aus Holm, Frau Manzur, Marek und Katka war nicht gerade vertrauenerweckend.« Polly, die gekündigte polyamouröse Sekretärin, und Fritzwalter, der langjährige Künstlerfreund, werden nichts Wesentliches für die Umsetzung des aus heiterem Himmel beschlossenen Museumsprojekts leisten. Geschweige Sohn Raffael, der der Langweile des mondänen Familiendomizils als Schwimmer Richtung Olympia entrinnt. Gotthold, von seinem Großvater derart benamst, muss – in beständiger Reflexion – selbst das Ruder in die Hand nehmen. Was hier bedeutet: Er um- und durchschreitet kapitelweise die zukünftigen Ausstellungsräume, eine bei aller Großartigkeit der gesammelten Objekte kleinräumige Welt, deren beständige Umrundung keine wesentlichen Fortschritte beschert. Es ist ein wenig wie bei Stifter: Dieser Immerjahn verrennt sich auf seiner Narrenburg. Zeman lässt ihn in immer wieder neuen Imaginationsschleifen ins Leere laufen. Was auch einen erzählerischen Leerlauf nach sich zieht. »Traumabenteuer einer Langweiligkeit höchster Art« hat Thomas Mann über Stifters Witiko geurteilt, und diese Einschätzung, die nicht Geringschätzung sein soll, passt auch gut für Zemans Immerjahn. Wo Stifters Prosa freilich absoftet, lädt sie die ihre auf. Hier ist alles stilistisch und motivisch wie Rokoko-Dekor, man muss – wie es an einer Kunsttheorie zitierenden Stelle heißt – »sehen und sehen und sehen, bis man in dem Bild wohnt.« Bleibt allerdings die Frage, ob man in diesem Kunstraum, in dem auch der Schatten eines Herzmanovsky-Orlando herumhuscht, wirklich wohnen möchte. Er wirkt eben doch sehr museal, und die beherzte Erzählerin, die einen, beredt und belesen, kreuz und quer durch die Sammlungen führt, ruft Bewunderung, aber auch Gähnen hervor. Manchmal würde man sich gern hinsetzen und einfach nur ruhig zuhören wollen. Solche Momente gibt es hier aber nur ganz flüchtig. Die, soweit ich sehe, einzigen zwei längeren, für dieses Lesebedürfnis gestalteten Erzählpassagen (und gleichzeitig die schönsten) sind jene, in denen Zeman das Augenleiden, die Vorstellung des Todes und das Erlebnis der Dunkelheit beim jungen Immerjahn schildert: »Ein leiser bunter Ort weit weg war der Tod, aber nicht zu bunt, gerade richtig, und es gab keine Langeweile dort.« Vielleicht gönnt uns Barbara Zeman in ihrem nächsten Buch mehr davon. Es wird die eigentliche Bewährungsprobe für diese Autorin.


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55 Die Bücherei St. Peter, Trier

Personen: Zeman, Barbara

Zeman

Zeman, Barbara:
Immerjahn : Roman / Barbara Zeman. - 1. Auflage. - Hamburg : Hoffmann und Campe, 2019. - 285 Seiten ; 21 cm
ISBN 978-3-455-00495-3 Festeinband : circa EUR 22.70 (AT)

Zugangsnummer: 2021/0150 - Barcode: 2-1250498-3-00000307-0
Schöne Literatur - Buch